Ottilie W. Roederstein (1859–1937) - Madonna unter Blumen oder Marienmond / Mois de Marie, 1890 Öl auf Leinwand, 130 × 89 cm, Ausschnitt Pfarrei St. Peter und Paul, Hofheim-Kriftel Foto: Städel Museum
In Erinnerung an Roedersteins künstlerisches Vermächtnis und an ihr unermüdliches Engagement als Mittlerin zwischen der Schweiz und Deutschland wurden ihr 1938 in Frankfurt, Zürich und Bern Gedenkausstellungen ausgerichtet. Durch die Zäsur des Zweiten Weltkriegs und die allgemeine Fokussierung des Kunstbetriebs auf abstrakte Malerei geriet Roedersteins Werk jedoch in Vergessenheit. Nun ist ihr vielfältiges Werk in einer Überblicksausstellung in Frankfurt wiederzuentdecken.
Die Retrospektive würdigt Roedersteins beeindruckende Karriere und verortet sie im Kontext ihrer Zeit. Ihre Wiederentdeckung fällt zusammen mit der neuerlichen Erschließung ihres Nachlasses. Zu den nun belegten Erkenntnissen gehört, dass Ottilie W. Roederstein nicht nur als Malerin, sondern auch als Förderin der Frauenbildung in Erscheinung getreten ist und als Protagonistin in einem weit verzweigten Netzwerk von freigeistigen Kunstschaffenden und Intellektuellen.
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Ottilie Wilhelmine Roederstein (1859–1937) war zu ihren Lebzeiten die wichtigste Schweizer Porträtmalerin. Nicht nur in ihrem Heimatland, auch in Deutschland und Frankreich fand sie große Anerkennung für ihre Bildnisse und Stillleben und stellte ab 1883 ihre Gemälde erfolgreich in Paris, London, Frankfurt am Main und Chicago aus. Als einzige Künstlerin vertrat sie 1912 die Schweiz bei der epochalen «Internationalen Kunstausstellung des Sonderbundes» in Köln – neben männlichen Kollegen wie Ferdinand Hodler, Giovanni Giacometti und Cuno Amiet.
Ihren Erfolg hatte sich OTTILIE W. ROEDERSTEIN (1859–1937) erkämpft: nicht nur gegen den Widerstand ihrer Eltern, die für ihre Tochter keine derart »unseriöse« Tätigkeit wünschten, sondern auch gegen die zahlreichen Vorurteile der damaligen Zeit. Wie ihre Freundin Elisabeth H. Winterhalter kämpfte sie für die Gleichberechtigung der Frau. Sie eröffnete ein Lehratelier, das auch Schülerinnen aufnahm.
Trotz ihrer einst internationalen Wertschätzung ist Roederstein fast unmittelbar nach ihrem Tod in Vergessenheit geraten. Nach über 80 Jahren ist die Ausstellung im Kunsthaus Zürich mit rund 75 Werken die erste monografische Werkschau in der Schweiz, die das stilistisch vielfältige Œuvre der Künstlerin wieder einem breiten Publikum zugänglich macht. Im Anschluss wird die Kunstschau im Städel Museum Frankfurt gezeigt.
Kunsthaus Zürich | bis 05.04.2021 | www.kunsthaus.ch
Kuratorin: Sandra Gianfreda
Städel Museum in Frankfurt am Main | bis 16. Oktober 2022 | www.staedelmuseum.de
Kurator: Alexander Eiling | Kuratorin: Eva-Maria Höllerer
Die 1859 als Kind deutscher Eltern in Zürich geborene Ottilie W. Roederstein gehörte zu Lebzeiten zu den führenden Malerinnen im deutschsprachigen Raum. Fru?h genoss sie auch Anerkennung in Paris. Wie nur wenige Frauen ihrer Zeit widmete sie ihr ganzes Leben erfolgreich der Kunst und führte zusammen mit ihrer Lebenspartnerin, der Gynäkologin Elisabeth H. Winterhalter, in Deutschland ein unkonventionelles, aber angesehenes Dasein.
Während sich Roedersteins Frühwerk innerhalb der kunstakademischen Konventionen bewegte, öffnete sich die Malerin in ihrem reiferen Werk zunehmend anderen Strömungen, um in den 1920er-Jahren zu einer sachlich-nüchternen Bildsprache zu finden.
Trotz ihrer einst internationalen Wertschätzung als Porträtistin und Malerin von Stillleben geriet Roederstein fast unmittelbar nach ihrem Tod 1937 in Vergessenheit. Nach mehreren Jahrzehnten widmen das Kunsthaus Zürich und das Städel Museum in Frankfurt am Main ihr die erste monografische Werkschau, die dieser umfassende Katalog begleitet.
ERST KONVENTIONELL, SPÄTER MUTIG
Roederstein, die mit dem Kürzel OWR signierte, arbeitete gezielt für den Kunstmarkt, um sich ihren Lebensunterhalt als freischaffende Künstlerin zu verdienen. Sie hielt sich an die für Künstlerinnen vorgesehenen Konventionen. Dies zeigt sich zu Beginn ihrer Karriere durch den Einsatz einer dunkeltonigen Farbpalette sowie durch die Wahl ihrer Bildsujets, den Porträts und Stillleben.
„SIE GEHÖRT ZU DEN MODERNSTEN DER FRAUEN“ Eva-Maria Höllerer für den Städl Blog | Artikel lesen
„Wenn die Kunstkritiker Roederstein angesichts der Qualität ihrer Werke „männliches Talent“ bescheinigten oder in Bezug auf eines ihrer Porträts feststellten, „nun beginnen die Frauen zu malen wie die Männer“, war das durchaus lobend gemeint. Sie bestätigten jedoch im Umkehrschluss die Vorurteile, gegen die sich nicht nur Roederstein, sondern Berufskünstlerinnen allgemein behaupten mussten. Und sie machen deutlich, wie sehr das Stereotyp des männlichen Künstlergenies zum Bewertungsmaßstab geworden war.
Vor diesem Hintergrund ist Roedersteins Selbstporträt mit roter Mütze als ein sehr selbstbewusstes Statement zu interpretieren. Sie unterstrich damit ihre Rolle als professionelle Malerin und ihren Anspruch auf einen Platz im männlich dominierten Kunstbetrieb.“ ( Eva-Maria Höllerer )
Ottilie W. Roederstein (1859–1937) - Selbstbildnis mit roter Mütze, 1894
Tempera auf Holz, 36 × 24 cm
Kunstmuseum Basel
Foto: Martin P. Bühler
Trotzdem überschritt Roederstein bereits früh das für malende Frauen vorgesehene Terrain, indem sie sich auch an religiöse Bilder und Akte heranwagte. Angeregt durch die Auseinandersetzung mit Werken der italienischen und deutschen Renaissance, begann sie um 1893 mit der Temperamalerei. Diese im ausgehenden 19. Jahrhundert europaweit wiederbelebte Technik galt als traditionsverbunden und avantgardistisch zugleich.
In ihrem reiferen Werk öffnete Roederstein sich zunehmend anderen Strömungen und nahm sowohl impressionistische wie auch symbolistische Elemente auf. In den 1920er-Jahren fand sie zu der ihr eigenen sachlich-nüchternen Bildsprache.
Ottilie Wilhelmine Roederstein Lebensweisheit oder Drei weltabgewandte Frauen, 1926 Stadtmuseum Hofheim am Taunus Inv.-Nr. 631/96
Die mit einer repräsentativen Auswahl von Gemälden und Zeichnungen konzipierte Ausstellung folgt chronologisch Roedersteins wichtigsten Lebensstationen – Zürich, Berlin, Paris, Frankfurt am Main und Hofheim am Taunus. Die Schau wird durch bisher unveröffentlichtes Foto- und Archivmaterial bereichert.
BEDEUTENDE PORTRÄTMALERIN FÜR DEUTSCHLAND UND DIE SCHWEIZ
In Zürich von deutschen Eltern geboren, lebte sie nach Ausbildungsstationen in ihrer Heimatstadt, in Berlin und Paris und ab 1891 in Frankfurt am Main. 1909 ließ sie sich gemeinsam mit ihrer Lebensgefährtin Dr. Elisabeth H. Winterhalter, Gynäkologin und die erste deutsche Chirurgin, im ländlichen Hofheim am Taunus nieder. Roederstein und Winterhalter unterstützten sich gegenseitig. Sie stiessen in traditionell Männern vorbehaltene Disziplinen vor und machten in Kunst und Medizin Karriere.
Sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz wurde Roederstein eine feste Größe im Kulturbetrieb. Die vielbeschäftigte Porträtmalerin förderte durch Ankäufe für ihre eigene Sammlung andere Kunstschaffende, unterstützte Ausstellungen moderner französischer und Schweizer Kunst und setzte sich für deren Verbreitung in Deutschland und der Schweiz ein. Dem Kunsthaus Zürich stiftete sie 1920 Werke aus ihrer Sammlung moderner französischer und Schweizer Kunst und legte damit den Grundstock für eine Abteilung zeitgenössischer Malerei aus Frankreich.
PRESSESCHAU
Künstlerin sein und Geld verdienen
Judith von Sternburg für die Frankfurter Rundschau | Artikel lesen
„Die Erfolgsgeschichte der Malerin ist auch eine Geschichte der berufstätigen Frau.
Mangelnder Respekt gegenüber der Arbeitsleistung von Frauen ist nun bis in diese Tage kein originelles Thema. Aber sprechen wir nicht davon. Sprechen wir von der Malerin Ottilie W. Roederstein, der Zeitgenossen (und vielleicht auch Zeitgenossinnen) ein „männliches Talent“ attestierten. Ein dummes, aber wesentliches Kompliment, der Beleg dafür, dass sie mithielt. Das musste sie, das tat sie.“
“ [ ] die überfällige Würdigung einer Malerin, die sich nicht um Konventionen scherte – offenbar auch nicht um die, als Künstlerin eines aufkommenden Zeitalters, das einmal als Moderne beschrieben werden sollte, besonders avantgardistisch sein zu müssen.
Ihre zahlreichen Selbstporträts zeugen nicht nur von einer malerischen Virtuosität, sondern auch von einem präzise geschärften Bewusstsein für die eigene Person. Mit Zigarillo oder Autofahrerhelm, verschränkten Armen oder ihrem Arbeitswerkzeug, den Pinseln, in der Hand: So porträtiert sich eine Frau, die weiß, wer sie ist.“
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