
Schule der Folgenlosigkeit, Film Still, © Jakob Brossmann
Nichtstun, Verzicht, Abstand halten – in diesen Monaten eine ungemein schwere Aufgabe. Was aber, wenn wir die Zeit nutzen, um ganz bewusst das Nichtstun zu üben? Für die Eindämmung der Pandemie, für die Umwelt, für mehr soziale Gerechtigkeit?
SCHULE DER FOLGENLOSIGKEIT.
ÜBUNGEN FÜR EIN ANDERES LEBEN
Ein Projekt von Friedrich von Borries
Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
#folgenlos
Wie sähe ein Leben aus, das – im ökologischen, aber auch im virologischen Sinne – möglichst folgenlos bleibt? Könnte Folgenlosigkeit ein neues regulatives Ideal werden, wie Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit, unerreichbar, aber dennoch erstrebenswert? Welche Auswirkungen hätte ein solches Streben auf die materielle und immaterielle Gestaltung unseres Alltags, auf die Wirtschafts- und Sozialordnung, auf unseren Glauben und auf die Art, wie wir miteinander umgehen? Und welche Vorbilder lassen sich für ein solches Leben in Gegenwart und Geschichte finden?
Diese Fragen stellt die Schule der Folgenlosigkeit, ein künstlerisch-diskursives Projekt von Friedrich von Borries im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (MK&G). Von Borries verknüpft Sammlungsobjekte mit einem eigens für die Ausstellung eingerichteten Selbstlernraum so, dass eine neue Perspektive auf „Nachhaltigkeit“ entsteht und vermeintlich allgemeingültige Vorstellungen eines „richtigen Lebens“ hinterfragt werden. Besucher*innen können hier im Selbstversuch Entscheidungen abgeben, ihre Hände in Unschuld waschen oder sich im Nichts-Tun üben.
Das Nichtstun üben
Im Rahmen der Ausstellung starten die Hochschule für bildende Künste Hamburg (HFBK) und das MK&G die gleichnamige App als mediale und inhaltliche Erweiterung der Ausstellung. Bis die Schau im MK&G mit Selbstlernraum, historischen Vorbildern und dem Stipendium für Nichtstun nach Ende des Lockdowns öffnet, kann man nun schon zu Hause das folgenlose Leben üben.
Die kostenlose App lässt Expert*innen zu Wort kommen und lädt mit vielen Übungen und Aufgaben ein zum spielerischen Selbstversuch. Die App richtet sich an alle, die über den Zustand unserer Welt nachdenken und verstehen wollen, wie die eigene Lebenswirklichkeit mit dem Klimawandel, den gesellschaftlichen und politischen Strukturen verbunden ist. Die App ist eine Kooperation der HFBK Hamburg, der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) und der Hamburg Open Online University (HOOU).
Zu jedem der zwölf Handlungsfelder wie Warten, Entscheidungen abgeben, Zerstören, die Besinnung verlieren oder Solidarität gibt es ein einführendes Tutorial. Denkanstöße in unterhaltsamen Interviews geben Expert*innen wie der Soziologe Hartmut Rosa, der Sozialpsychologe Harald Welzer, der Schauspieler Eric Stehfest, die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy oder Klima-Aktivist Tadzio Müller.
Mit den Übungen werden die Nutzer*innen selber aktiv, in der Küche, auf dem heimischen Sofa oder unterwegs. So müssen die Lernenden den Stein des Sisyphos einen virtuellen Berg hinaufrollen oder einen Stapel virtueller Gläser durch die Wohnung balancieren. Sie können mit dem Smartphone in der Hand tanzen, bis sie die Besinnung verlieren, danach im Multiple-Choice-Test die eigene Wissensperspektive zum Zustand der Welt erweitern oder einfach mal ganz entspannt … warten.
Noch mehr Aktivität erfordern die Aufgaben, die dazu anregen, künstlerisch in den sozialen und öffentlichen Raum zu intervenieren. So gilt es, Warteschlangen zu initiieren, einen Eierlaufparcours aufzubauen oder einen ekstatischen Tanz aufzuführen. Ihre Übungen, Aufgaben und Überlegungen sollen die Nutzer*innen mit allen teilen, mit denen sie die Veränderungen gestalten und leben möchten.
Der Hashtag #folgenlos will in den sozialen Medien eine große Öffentlichkeit schaffen, um die Grundfragen der Gesellschaft zu diskutieren. Denn zur Schule der Folgenlosigkeit gehören auch Ausblicke und Auswege wie Bessere Zukünfte erträumen, eine Gegenmacht herzustellen und Zusammenhalt bilden.
DIE AUSSTELLUNG
Die Ausstellung Schule der Folgenlosigkeit. Übungen für ein anderes Leben ist ein künstlerisch-diskursives Projekt von Friedrich von Borries, das mit der Öffnung der Museen nach dem Corona-bedingten Lockdown bis zum 9. Mai 2021 im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (MK&G) zu sehen ist. Sie fragt, wie ein folgenloses Leben aussehen könnte, welche historischen Vorbilder es gibt und welche Auswirkungen ein Streben danach auf unseren Alltag hat, auf die Wirtschafts- und Sozialordnung, auf unseren Glauben und auf die Art, wie wir miteinander umgehen.
DIE APP
Die App wurde von Friedrich von Borries und dem Berliner Künstler*innenkollektiv refrakt (Alexander Govoni und Carla Streckwall) entwickelt. Das einführende Tutorial mit Friedrich von Borries entwickelte der österreichische Regisseur und Dokumentarfilmer Jakob Brossmann.
DER DOWNLOAD
Kostenlos verfügbar im Google Play Store und im Apple App Store.
https://play.google.com/store/apps/details?id=com.refrakt.sdf
https://apps.apple.com/de/app/schule-der-folgenlosigkeit/id1540784396
Das diskursive Bildungsprogramm als App ist eine Kooperation der Hochschule für bildende Künste Hamburg (HFBK) und der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) im Rahmen der Hamburg Open Online University (HOOU).
Die Hamburg Open Online University (HOOU)
ist eine Verbundeinrichtung der Freien und Hansestadt Hamburg, fünf staatlicher Hamburger Hochschulen, des Multimediakontor Hamburg und des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf. Sie wurde im Jahr 2015 ins Leben gerufen und ist seit Anfang 2020 als Gesellschaft organisiert.
Die HOOU ist mit ihrer Bildungsplattform hoou.de ein Anbieter zur kostenlosen Nutzung frei verfügbarer Lernangebote. Über die Lernplattform hoou.de können Sie sich an der interdisziplinären und kollaborativen Arbeit der HOOU-Partner beteiligen und die offenen Lernangebote verwenden.
Der Auftrag
Die HOOU fördert die Erstellung wissenschaftlicher, digitaler Lernangebote. Als Plattform für Kollaboration und Kooperation setzt sich die HOOU für die Öffnung von Hochschulen ein und koordiniert die kooperative Zusammenarbeit von Bildungsanbietern zur Ausgestaltung qualitätsgesicherter, innovativer digitaler Lernangebote. Dem Ziel der Offenheit und freien Zugänglichkeit zu Lerninhalten folgend leistet die HOOU damit einen Beitrag zur zivilgesellschaftlichen Teilhabe und Bildung im digitalen Zeitalter.
Öffnung für neue Zielgruppen und zivilgesellschaftliche Relevanz
Die HOOU wendet sich nicht nur an die Studierenden der beteiligten Hochschulen, sondern möchte ausdrücklich über diese hinaus neue Zielgruppen einladen, die an einer gemeinsamen Auseinandersetzung mit akademischen Inhalten interessiert sind. Für die Bearbeitung und Lösung von zivilgesellschaftlich relevanten Fragestellungen werden durch eine Vielzahl von Perspektiven ein besonderer Wert und eine höhere Qualität erwartet.
Die gesellschaftsbeteiligten Hochschulen sind: Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW Hamburg), Technische Universität Hamburg (TUHH), HafenCity Universität (HCU), Hochschule für bildende Künste (HFBK), Hochschule für Musik und Theater (HFMT)
PRESSESCHAU
Dolce Vita? – Kunstprojekt stößt Wandel an
Stefan Dege für die Deutsche Welle | Beitrag lesen
„Ein Stipendium fürs süße Nichtstun? Das klingt absurd. Macht aber Sinn, meint die Hamburger Hochschule für Bildende Künste. Was will sie damit erreichen?
„Für die öko-soziale Transformation brauchen wir einen Kulturwandelund müssen dafür unser Verhalten ändern“, sagt er. „Das gelingt aber nur, indem man positive Perspektiven aufzeigt, statt Verzicht zu predigen!“ Verzicht klinge so negativ. „Mal die Füße hochzulegen, das findet jeder gut. Aber das ‚Dieses oder jenes darfst Du nicht mehr!‘, das gefällt keinem“.
„Folgenlosigkeit“ definiert von Borries auch als eine Abkehr vom Leistungsdenken. Schluss mit dem immer höher, schneller, weiter: „Es geht darum, aus der Erfolgsstrebensspirale, aus dem Hamsterrad rauszukommen.“ Noch bemesse sich sozialer Status daran: Wie groß ist das Haus, wie schnell das Auto, wie dick die Uhr?
„Wenn wir in einer Gesellschaft leben wollen, die weniger Energie verbraucht, die weniger Ressourcen verschwendet, ist das doch das falsche Wertesystem“, erklärt Friedrich von Borries. „Wäre es nicht schöner, soziales Prestige zu gewinnen, indem man sagt: Ich habe Zeit zum Träumen, Zeit, mit den Kindern Schwimmen zu gehen, Freunde treffen, die Füße hoch zu legen, Zeit fürs Nichts-Tun?“ Diese Debatte möchte Wissenschaftler von Borries anstoßen und so die die Gesellschaft von morgen formen.“
Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
Schule der Folgenlosigkeit. Übungen für ein anderes Leben
Die Ausstellung ist mit der Öffnung der Museen nach dem Corona-bedingten Lockdown bis zum 18. Juli 2021 zu sehen.