Francisco de Goya, Atropos o Las Parcas (Atropos oder Das Schicksal), ca. 1820, aus der Serie der Pinturas negras (Schwarze Gemälde), 1819–1824, Public domain, via Wikimedia Commons
Die Fondation Beyeler widmet Francisco de Goya (1746–1828) zum 275. Geburtstag eine der bisher bedeutendsten Ausstellungen. Goya ist einer der letzten grossen Hofkünstler und der erste Wegbereiter der modernen Kunst. Er ist sowohl Maler eindrücklicher Porträts als auch Erfinder rätselhafter persönlicher Bildwelten. Gerade aus dieser unauflösbaren Widersprüchlichkeit bezieht Goyas Kunst ihre magische Faszination.
Goyas mehr als 60 Jahre währender Schaffensprozess umfasst den Zeitraum vom Rokoko bis zur Romantik. Der Künstler stellt Heilige und Verbrecher, Hexen und Dämonen dar, um das Tor zu Welten aufzustossen, in denen die Grenzen zwischen Realität und Fantasie verschwimmen. Goya ist in seiner Kunst der scharfsinnige Beobachter des Dramas von Vernunft und Unvernunft, von Träumen und Albträumen.
Es ist gelungen, für die Ausstellung rund 70 Gemälde und über 100 meisterhafte Zeichnungen und Druckgrafiken zu versammeln. Diese laden die Besuchenden zu einer Begegnung mit dem Schönen wie auch dem Unfassbaren ein. Selten gezeigte Gemälde aus spanischem Privatbesitz werden in der Fondation Beyeler erstmals mit Schlüsselwerken aus den renommiertesten europäischen und amerikanischen Museen und Privatsammlungen vereint.
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Fondation Beyeler, Riehen/Basel | bis 23. Januar 2022
GOYA
Pressetext: Fondation Beyeler | www.fondationbeyeler.ch Kurator: Martin Schwander, Curator at Large, in Zusammenarbeit mit Gudrun Maurer
KATALOG | Francisco de Goya
Gebundene Ausgabe
400 Seiten
300 Abbildungen
Hatje Cantz Verlag
Sprache: Deutsch
27,40 x 31,00 cmDas umfangreiche Katalogbuch vermittelt dieses einmalige künstlerische Wirken über Werkinterpretationen namhafter Autor*innen und herrliche Bildstrecken.
Die Ausstellung in der Fondation Beyeler eröffnet den Blick auf den Hofkünstler einerseits und den Erfinder rätselhafter und verstörender Bildwelten andererseits, auf das sakrale und das profane Werk, auf Christus- und Hexendarstellungen, auf Porträts und Historienbilder, auf Stillleben und Genreszenen. Neben Gemälden, die im Auftrag des Königshauses, des Adels und des Bürgertums entstanden, sind Werke zu sehen, die Goya in einem von ihm selbst eroberten Raum künstlerischer Freiheit realisiert hat, darunter Kabinettbilder, die oftmals nur im engen privaten Rahmen gezeigt wurden.
Goya ist in der europäischen Kunstgeschichte einer der ersten Künstler, die sich mit rebellischer Entschlossenheit gegen die Kunst einengende Dogmen und Regelwerke zur Wehr setzten und stattdessen für den Eigensinn und den Erfindungsgeist des Künstlers («capricho» und «invención») eintraten.
Zu den Höhepunkten der Ausstellung zählen das Porträt der Herzogin von Alba, 1795, und die ikonische Darstellung der Bekleideten Maja (La maja vestida), 1800–1807. Ebenso einzigartig sind die zwei selten ausgestellten, aus europäischen Privatsammlungen stammenden Gemälde Maja und Celestina auf dem Balkon und Majas auf dem Balkon, die Goya zwischen 1808 und 1812 gemalt hat.
Francisco de Goya, Majas en el balcón (Majas auf einem Balkon), Ausschnitt,
Public domain, via Wikimedia Commons
Eine Besonderheit der Ausstellung sind zudem die kleinformatigen Genrebilder, die mehrheitlich in spanischen Privatsammlungen aufbewahrt werden und bis anhin nur selten außerhalb Spaniens gezeigt wurden. Es sind Gemälde, in denen Goya – ähnlich wie in den Zeichnungen und Radierungen – seiner inneren Eingebung freien Lauf ließ.
So wird auch zum ersten Mal nach der bisher einzigen Präsentation im Museo Nacional del Prado die ganze Serie von acht erhaltenen Historien- und Genrebildern aus der Madrider Sammlung des Marqués de la Romana in der Fondation Beyeler der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Zu ihnen gesellen sich die vier berühmten, höchst selten ausgeliehenen Tafeln mit Genreszenen aus der Real Academia de Bellas Artes de San Fernando in Madrid.
Francisco de Goya, Entierro de la Sardina (Das Begräbnis der Sardine), Ausschnitt,
Real Academia de Bellas Artes de San Fernando, 1812-14,
Public domain, via Wikimedia Commons
In seinen Genreszenen und Historienbildern schildert Goya Begebenheiten aus dem bewegten gesellschaftlichen, politischen und religiösen Alltag der Spanierinnen und Spanier um 1800. Zu den wiederkehrenden Schauplätzen gehören dabei Märkte und Stierkampfarenen, Gefängnisse und kirchliche Institutionen, Irrenhäuser und Inquisitionstribunale. Von großer Bedeutung sind auch die Hexendarstellungen, in denen Goya den Aberglauben seiner Zeit zur Anschauung bringt.
Die Ausstellung wird zudem neben einer Gruppe von Radierungen aus den Desastres de la guerra (Die Schrecken des Krieges), 1811–1814, eine Auswahl an Blättern aus der 1799 erschienenen Caprichos-Serie präsentieren, darunter die berühmte Radierung Nr. 43 mit dem programmatischen Titel Der Schlaf/Traum der Vernunft gebiert Ungeheuer, die Goyas von Melancholie und Resignation geprägter Einsicht Rechnung trägt, dass weder mit Vernunft noch mit Ironie und Sarkasmus gegen die Unvernunft anzukämpfen ist.
Goyas rätselhafte und abgründige Bildwelten stießen seit der französischen Romantik zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf hohe Wertschätzung. In der Moderne erblickten Künstler wie Pablo Picasso und Joan Miró, Francis Bacon und die Surrealisten in Goya einen Geistesverwandten. Auch für zahlreiche zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler, unter ihnen Marlene Dumas und Philippe Parreno, stellt Goya eine wichtige Referenz dar.
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Im Auftrag der Fondation Beyeler hat der renommierte französische Künstler Philippe Parreno (*1964) einen Film zu Goyas ikonischer Serie der Pinturas negras (Schwarze Gemälde), 1819–1824, geschaffen, der im Rahmen der Ausstellung Premiere feiern wird. Die 14 Wandgemälde befanden sich ursprünglich im Wohnhaus Goyas am Stadtrand von Madrid und waren vermutlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Die heute in der Sammlung des Museo Nacional del Prado in Madrid bewahrten Bilder sind so fragil, dass sie nicht ausserhalb des Museums gezeigt werden können.
Selten zu sehende Gemälde aus spanischem Privatbesitz, manche davon seit den Lebzeiten des Künstlers in gleicher Hand, werden in der Fondation Beyeler erstmals mit Schlüsselwerken aus den renommiertesten europäischen und amerikanischen Museen und Privatsammlungen vereint sein.
Die Leihgaben kommen aus namhaften Museen wie dem Museo Nacional del Prado, dem Museo Thyssen-Bornemisza, der Fundación Lázaro Galdiano und der Fundación Casa de Alba, alle in Madrid, dem Musée du Louvre in Paris, dem Metropolitan Museum of Art in New York, der National Gallery in London, den Gallerie degli Uffizi in Florenz, der National Gallery of Ireland in Dublin, der Sammlung Oskar Reinhart «Am Römerholz» in Winterthur, dem Minneapolis Institute of Art sowie dem Museum of Fine Arts in Houston.
Francisco de Goya – Der Schlaf der Vernunft
VIDEO | Francisco de Goya – Der Schlaf der Vernunft,
arte.TV, Dokumentation von José Luis López-Linares
Er ist sowohl Maler eindrücklicher Porträts, als auch Erfinder rätselhafter persönlicher Bildwelten: Francisco de Goya (1746–1828) war im ausgehenden 18. Jahrhundert in Spanien ein sehr gefragter und angesehener Hofmaler. Der Verlust seines Gehörs, der Tod der Herzogin von Alba, die Französische Revolution und schließlich die Napoleonischen Kriege prägten sein Werk.
Francisco de Goya war 1792 auf dem Höhepunkt seines Schaffens und ein anerkannter Maler. Sein Erfolg beruhte auf seiner lebhaften Strichführung und seinen idyllischen Bildern vom Madrider Leben. Die gesellschaftliche Oberschicht drängte sich im Atelier des zum Hofmaler ernannten Künstlers.
Nach André Malraux‘ Überzeugung wäre von Goya nichts geblieben, hätte er die Welt zu diesem Zeitpunkt verlassen müssen. Das konnte der französische Schriftsteller nur deshalb so kategorisch behaupten, weil er als Bewunderer und großer Kenner des spanischen Meisters wusste, was danach kam. Denn Goya, der Hofmaler, sollte in der Folge vieles erleben, was ihn selbst und sein Werk radikal veränderte.
Wie zahlreiche Intellektuelle seiner Zeit war Goya vom Geist der französischen Aufklärung mitsamt ihrer Zukunftsverheißungen beeinflusst. Doch das Jahr 1792 – das Jahr seiner schweren Erkrankung, die ihn vollkommen ertauben ließ – ist auch das Jahr der Terrorherrschaft aus Paris, die den universalistischen Utopien der Französischen Revolution ein blutiges Ende bereitete.
Die Kulturdokumentation zeigt, wie sich Goyas Kunst durch diese Ereignisse tiefgreifend verwandelte. Er übernahm zwar weiterhin Auftragswerke, malte aber von nun an auch für sich selbst und nahm sich dabei jegliche künstlerische Freiheit. Farben und Themen verdüsterten sich zunehmend – bis hin zu den berühmten Schwarzen Gemälden (Pinturas negras).
Goya stellt Heilige und Verbrecher, Hexen und Dämonen dar, um zu magischen Welten vorzudringen, in denen die Grenzen zwischen Realität und Fantasie verschwimmen. Diese düsteren Bilder nehmen den Impressionismus und später den Expressionismus vorweg, was Malraux zu der Aussage veranlasste, zwischen Goya und Manet habe es schlichtweg niemanden gegeben.
Goya, Tristes presentimientos de lo que ha de acontecer. (Eine traurige Vorahnung auf das, was kommen wird.), aus Los desastres de la guerra (Die Schrecken des Krieges) | Serie von 82 Aquatinta-Grafiken, die Francisco Goya in den 1810er Jahren schuf und 1863, 35 Jahre nach seinem Tod, veröffentlichte.
[ Serie ansehen ]
PRESSESCHAU
Goya lässt uns gnadenlos in die Abgründe menschlichen Daseins blicken
Philipp Meier für die NZZ | Artikel lesen
„Sein berühmter Zyklus der «Desastres de la guerra» ist ein Bilderreigen der Desillusionierung jeglichen Glaubens an Vernunft und Ethik. Wo Täter zu Opfern und Opfer zu Tätern werden, französische Soldaten und spanische Zivilisten, Männer und Frauen, Junge und Alte mit derselben Grausamkeit übereinander herfallen, spielt es keine Rolle mehr, wer unter welcher Flagge mordet, schändet, quält. Diese Bilder aber sind der Grund, warum jetzt ein Museum für moderne und zeitgenössische Kunst wie die Fondation Beyeler den spanischen Altmeister in einer grossen Übersichtsschau zeigt.“
Harmonische Dämonen
Kito Nedo für die Sueddeutsche Zeitung | Artikel lesen
„Goya malte tote Goldbrassen und Waldschnepfen, einen Schafskopf, eine tote Ente und drei blutige Lachsscheiben in einem rohen, fast unappetitlichen Zustand. So erinnert er daran, das Tiere getötet werden müssen, damit sie Mahlzeit werden können. Die virtuous-moderne, fast expressionistische Malweise dieser Bilder trifft einen als Betrachter wie ein elektrischer Schlag.“
Goya: El sueño de la razón produce monstruos (Der Schlaf [Traum] der Vernunft gebiert Ungeheuer), Capricho Nr. 43, Radierung, Madrid, Public domain, via Wikimedia Commons
In seiner Psyche schien ein Krieg zu wüten
Stefan Trinks für die FAZ | Artikel lesen
„Schwarzgalliger Soziologe des Pinsels: Kaum ein Maler hat die Kunst durch bloßes Hinschauen so politisiert wie Goya. Dabei war er apolitisch, wie die Fondation Beyeler jetzt zeigt.
Sein berühmtestes Capricho 43, „Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer“, verknüpft beides: Albtraum und Geschichte. Als Zeitgenossen der Aufklärung suchen den Künstler deren nachtmahrhafte Manifestationen in Gestalt von Fledermäusen und anderen Monstra heim. Nicht nur in diesem Albtraum-Capricho wendet sich Goya gegen das Gutgemeinte der Aufklärung und menschenbeglückender Revolutionen, denen er misstraut.“
Abgründe im Werk von Francisco de Goya „Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer“
Astrid Nettling für Deutschlandfunk | Artikel lesen
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„Nichts war dem spanischen Maler Franciso de Goya fremd: Er reiste in seiner Kunst vom Himmel durch die Welt zur Hölle. Er hoffte auf das Licht der Aufklärung, erlebte aber vor allem Düsternis. In einer gut 200 Jahre alten Radierung fragt der Maler: Was rettet uns vor den Ungeheuern?“
Fondation Beyeler
GOYA
Ausstellung bis 23. Januar 2022
Bitte beachten Sie die Informationen zum Schutz- und Hygienekonzept des Veranstaltungsortes, zur Eindämmung der Corona-Epidemie.