Die Künstler der Brücke lebten und arbeiteten in einer Zeit, in der das Deutsche Kaiserreich eine der größten Kolonialmächte Europas war. Die Ausstellung befragt ihre Werke vor diesem historischen Hintergrund.
Vor allem das Spannungsverhältnis zwischen Inspiration und Aneignung, in dem Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner, Emil Nolde, Max Pechstein und Karl Schmidt-Rottluff agierten, wird in der Ausstellung thematisiert.
Einerseits identifizierten die Künstler sich mit der imaginierten Welt der vermeintlich „natürlichen“ Kulturen des globalen Südens als Gegenbild der bürgerlichen Gesellschaft und erhofften sich, so den Eurozentrismus ihrer Zeit zu überwinden. Andererseits nutzten sie stilistische Elemente der Künste und Kulturen aus Afrika, Ozeanien oder Indien als Anregung für ihre Kunst, ohne deren Entstehungskontexte, die kolonialen Machtverhältnisse und ihr rassistisches Weltbild zu reflektieren.
Amsterdam | Stedelijk Museum | 4.9. bis 5.12.2021 Berlin | Brücke-Museum | bis 20.03.2022
KIRCHNER – NOLDE – Kolonialismus
Whose Expression? Die Künstler der Brücke im kolonialen Kontext
Pressetext: Brücke-Museum | www.bruecke-museum.deKuratorinnen:
Beatrice von Bormann (Stedelijk Museum Amsterdam)
Dorthe Aegesen (Statens Museum for Kunst Kopenhagen)
KATALOG | Kirchner und Nolde: Expressionismus. Kolonialismus
Taschenbuch, Klappenbroschur 256 Seiten 280 Abbildungen in Farbe Herausgeber: Hirmer, 2021 Sprache: Deutsch 21.3 x 2.7 x 28.2 cm
Dieses Buch betrachtet das Werk von Ernst Ludwig Kirchner (1880–1938) und Emil Nolde (1867–1956) vor dem Hintergrund des deutschen Kolonialismus zwischen 1908 und 1918. Es bringt weniger bekannte, gewalttätige Aspekte des Expressionismus ans Licht und fragt nach dem Kontext der Bilder.
Kirchner und Nolde suchten nach einer authentischen, lebendigen Kunst. Dafür wandten sie sich Menschen und Objekten außereuropäischer Kulturen zu, vor allem aus Afrika und Ozeanien. Eine Begegnung fand in den ethnologischen Museen, durch die Unterhaltungskultur in Deutschland sowie durch Noldes Reise nach Neuguinea 1913/14 statt.
Wie standen die Künstler zum Kolonialismus, zu den ethnologischen Museen und zur Anthropologie? Wie waren die Machtverhältnisse zwischen Künstler und Modell? Und wer waren die gemalten, oftmals Schwarzen Performer? Wie lebten diese, was waren ihre Geschichten?
Zahlreiche Skizzen und Gemälde zeugen davon, dass sich die Künstler in den Völkerkundemuseen in Dresden und Berlin intensiv mit Werken aus dem kolonialen Süden auseinandergesetzt haben. Neben den Palaubalken rezipierten sie beispielsweise auch die Benin-Bronzen mehrfach. Darüber hinaus besuchten sie Theater, Varietés, Zirkusse und rassistische Kolonialausstellungen, die Menschen wie Objekte zur Schau stellten. Einige dieser kolonialisierten Personen standen für die Brücke-Künstler für Portraits und Akte Modell.
Ernst Ludwig Kirchner, Stillleben mit Blumen und Skulpturen, 1912, Groninger Museum, erworben mit Unterstützung der Kammingafonds, photo: Marten de Leeuw
Die Ausstellung möchte sich den Lebenswegen der unbekannten Portraitierten widmen, ebenso wie der Biografien der Werke aus kolonialem Kontext. So wird der bekannte Leopardenhocker, der lange für eine Arbeit Ernst Ludwig Kirchners gehalten wurde, erstmalig mit seiner Bedeutung als Prestige-Objekt höfischer Eliten in Kamerun und als Zeugnis kamerunisch-deutscher Kolonialgeschichte gezeigt. Ein weiterer Fokus wird auf den Individuen liegen, die die Brücke-Künstler als anonymisierte ‚Andere‘ exotisierend darstellten.
Die Begegnung der Brücke-Mitglieder mit Menschen und Werken aus den kolonialen Kontexten fanden überwiegend in Deutschland statt. Denn nur Nolde und Pechstein reisten in die deutschen Kolonialgebiete Papua-Neuguinea und Palau.
Mit Fotografien, Dokumenten, wie Briefen und Tagebüchern, und den vor Ort entstandenen Skizzen und Aquarellen begibt sich die Ausstellung auf eine Spurensuche dieser Reisen. Sie thematisiert die Desillusion der Künstler, die vor Ort nicht auf das erträumte Paradies europäischer Imagination trafen. Während Reisefotografien die koloniale Besetzung sehr deutlich dokumentieren, blendeten es Pechstein und Nolde in ihren Werken aus.
VIDEO | Expressionismus trifft Kolonialismus | Stephan Merseburger für das ZDF Verfügbar bis 29.12.2022
Als die deutschen Expressionisten Emil Nolde und Max Pechstein um 1910 zum damaligen Deutsch-Neuguinea und zu den Palau-Inseln reisten, war ihr vermeintliches „Südsee-Paradies“ bereits durch den europäischen Kolonialismus zerstört.
Ernst-Ludwig Kirchner blieb zu Hause, baute sich im Atelier die Südseeexotik als Ambiente nach.
Ernst Ludwig Kirchner: Erna Schilling (Kirchner) and Ernst Ludwig Kircher in the studio in Durlacher Straße 14, Berlin, ca. 1912–1914, photograph, 18 x 24 cm. Kirchner Museum Davos, Donation of the Estate of Ernst Ludwig Kirchner, 1992.
Sie wollten die Malerei in Deutschland revolutionieren und sich dafür an der Ursprünglichkeit der indigenen Kunst schulen. Nolde und Pechstein, die von ihren Ehefrauen begleitet wurden, blendeten vor Ort den Untergang der fremden Welt aus. Sie malten so, wie sie es in ihren Köpfen als „weißen Blick“ von daheim mitgebracht hatten: romantisch verbrämt, idyllisch verfälscht und außerdem nah am rassenkundlichen Menschenbild der Zeit.
Ihre Südsee-Sehnsucht hatten Nolde, Kirchner und Pechstein durch Besuche in den Völkerkundlichen Museen in Berlin und Dresden genährt, wo sie ersten Kontakt mit der Kunst fremder Kulturen hatten. Der Franzose Paul Gauguin war ein Vorbild, wie mit Bildern über das vermeintlich „Wilde“ und „Primitive“ auf dem Kunstmarkt Aufmerksamkeit und Erfolg zu erzielen war. Die Malreisen von Nolde und Pechstein waren durch Schulden finanziert. Für beide endete das Südsee-Abenteuer in einem Fiasko. 1914 brach der Erste Weltkrieg aus, Emil Nolde konnte Deutsch-Neuguinea gerade noch verlassen, verlor unterwegs viele seiner Bilder. Max Pechstein geriet in japanische Gefangenschaft und musste nach dem Krieg neu beginnen.
Mit vielen erstmals gezeigten Fotos von den Südseereisen zeichnet der Film die Geschichte einer künstlerischen „Ausbeutung“ nach.
Doku „Der weiße Blick“: Die Expressionisten und die Südsee
Der Regisseur Wilfried Hauke spricht im Interview über seinen Dokumentarfilm „Der weiße Blick – Expressionismus und Kolonialismus“
„…. Sie sind hingefahren und wollten sich inspirieren lassen, haben sich aber dabei etwas angeeignet: Sie haben dort schon eine zerstörte Welt vorgefunden. Palau, wo Pechstein war, sah damals schon aus wie ein löcheriger Schweizer Käse. Es wurde dort von Hamburger und Bremer Konsortien Phosphat abgebaut, Krankheiten haben sich ausgebreitet. Nolde war Teil einer medizinisch-demographischen Expedition des Kolonialreiches. Sie sind also nicht ganz alleine dahingekommen. Sie haben die Struktur des Kolonialismus benutzt, um dorthin zu reisen. Und dann haben sie sich diese Welt angeeignet, so wie sie sie für ihre Malerei brauchten. Das nennen wir den „weißen Blick“: Sie arbeiteten als Künstler an der Konstruktion eines außereuropäischen Anderen, immer mit dem Bewusstsein der eigenen Überlegenheit. Sie haben sich das an „Material“ genommen, was sie für ihre pseudoromantischen Bilder brauchten und haben es mit nach Hause gebracht. Damit haben sie wiederum im deutschen Kaiserreich das Bild von der Südsee als Idylle verklärend dargestellt und damit indirekt zur weiteren Bestätigung des Kolonialismus beigetragen.“
KATALOG | Die Brücke in der Südsee. Exotik der Farbe
Zur Ausstellung im Saarlandmuseum, Saarbrücken vom 22.10.2005 bis 8.1.2006
Gebundene Ausgabe mit Schutzumschlag 224 Seiten 221 Abb. Herausgeber: Hatje Cantz Verlag Sprache: Deutsch 22,20 x 28,70 cm
Für Max Pechstein, Ernst-Ludwig Kirchner, Erich Heckel oder Emil Nolde wurde die Erfahrung des Fremden zum Schlüsselerlebnis: Ob auf Reisen in der Südsee, in Afrika, in Europa oder in Deutschland, die Wahl »exotischer« Bildthemen erlaubte den Malern der Brücke die Trennung der Farbe vom Bildgegenstand und damit deren spektakuläre Nutzung zum Ausdruck ihrer Empfindungen. Die »Südsee« wurde ihnen zur Metapher für diese freiere künstlerische Auffassung und besonders während des Ersten Weltkriegs auch zur Gegenwelt.
Die Publikation präsentiert bahnbrechende Gemälde der eigentlichen Brücke-Zeit, exzeptionelle, unmittelbar unter dem Einfluss exotischer Welten entstandene Arbeiten sowie eine Gruppe von Spätwerken zum Thema. Sie unternimmt eine Neubewertung der Bedeutung sogenannter primitiver Kulturen für die beginnende Moderne – über den bekannten Einfluss von Skulpturen auf Expressionismus und Kubismus hinaus – für den zentralen Bereich der Farbe.
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