Vermeers "Brieflesendes Mädchen am offenen Fenster" von 1657-59 vor (links) und nach der Restaurierung (rechts). Gemäldegalerie Alte Meister, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Foto: Wolfgang Kreische
Johannes Vermeers „Brieflesendes Mädchen am offenen Fenster“ ist eines der weltweit bekanntesten Werke der holländischen Malerei des Goldenen Zeitalters. Die Gemäldegalerie Alte Meister präsentiert es gemeinsam mit neun weiteren Werken des Künstlers und etwa 50 Werken der holländischen Genremalerei in der bislang größten Vermeer-Ausstellung in Deutschland.
Für die Sammlung des sächsischen Kurfürsten Friedrich August II. wurde das Gemälde 1742 in Paris erworben und befindet sich seitdem in der Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden.
Unterstützt durch umfangreiche Untersuchungen einer internationalen Expertenkommission, wurde das Bild von 2017 bis 2021 in der Restaurierungswerkstatt für Gemälde der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden restauriert. Im Laufe des Arbeitsprozesses stellte sich heraus, dass eine seit Langem bekannte, großflächige Übermalung auf der hinteren Wand des Innenraums nicht von Vermeer stammt, sondern einige Zeit nach seinem Tod von fremder Hand ausgeführt worden sein muss.
Die helle Übermalung wurde daraufhin schrittweise abgenommen und das darunterliegende Motiv eines stehenden Liebesgotts mit Bogen, Pfeilen und zwei Masken, der als „Bild im Bild“ die Rückwand des Zimmers ziert, wieder freigelegt.
Die Entfernung weiterer alter Retuschen und Firnisschichten lässt das Gemälde heute wieder in seiner ursprünglichen, überwältigenden Farbigkeit strahlen. Das „Brieflesende Mädchen am offenen Fenster“ hat sein Aussehen grundlegend verändert und muss neu betrachtet und gelesen werden. Bei einem überschaubaren OEuvre von nur etwa 35 erhaltenen Bildern hat die Wiedergewinnung des originalen Zustands dieses frühen Hauptwerks Vermeers zudem Auswirkungen auf die Interpretation seines gesamten Schaffens.
Dies ist für die Gemäldegalerie Anlass zu einer Ausstellung, in der das „Brieflesende Mädchen“ im Kontext weiterer neun Gemälde Vermeers gezeigt wird, die zu diesem in besonderer Beziehung stehen. Die Bilder des Delfter Malers, darunter die „Briefleserin in Blau“, die „Stehende Virginalspielerin“ und die „Frau mit der Waage“, werden begleitet von einer exquisiten Auswahl von Werken der holländischen Genremalerei, die Beziehungen und Wechselwirkungen im Schaffen Vermeers und seiner zeitgenössischen Künstlerkollegen verdeutlichen.
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Gemäldegalerie Alter Meister, Dresden | bis 02. Januar 2022
JOHANNES VERMEER. Vom Innehalten
Pressetext: Gemäldegalerie Alte Meister | gemaeldegalerie.skd.museum
KURATOR*innen: Stephan Koja, Uta Neidhardt und Arthur Wheelock
Gebundene Ausgabe 264 Seiten 252 farbige Abb. Herausgeber: Sandstein Kommunikation Sprache: Deutsch 28 x 24 cm
Der Katalog vereint Texte renommierter Autorinnen und Autoren, die sich sowohl dem restaurierten Hauptwerk als auch grundsätzlichen Fragen zu Stilsprache und Wesen der Malerei Vermeers, seinem optischen Realismus, seiner Liebessymbolik und der Lebenswelt der Frau im sogenannten Goldenen Zeitalter widmen.
Eine exquisite Auswahl von etwa 50 Werken der holländischen Genremalerei sowie herausragende Einzelstücke des Kunstgewerbes werden darüber hinaus Bezüge und Wechselwirkungen im Schaffen Vermeers und seiner Zeitgenossen deutlich machen.
Der reich bebilderte Katalog lässt den Leser in sieben Aufsätzen namhafter Autoren sowohl in die Kultur- und Kunstgeschichte Hollands im Goldenen Zeitalter eintauchen als auch die spektakuläre Restaurierung des »Brieflesenden Mädchens am offenen Fenster« nachvollziehen.
Johannes Vermeer, Briefleserin in Blau, um 1663 Rijksmuseum Amsterdam, Leihgabe der Stadt Amsterdam (Vermächtnis A. van der Hoop) Public domain, via Wikimedia Commons
Unter den hochkarätigen Leihgaben befinden sich die „Briefleserin in Blau” und die „Häuseransicht in Delft (Die kleine Straße)” aus dem Amsterdamer Rijksmuseum, die „Frau mit der Waage” aus der National Gallery of Art in Washington, die „Junge Dame am Virginal stehend” aus der National Gallery in London, „Der Geograph” aus dem Frankfurter Städel, das „Mädchen mit dem Perlenhalsband” aus der Gemäldegalerie der Staatlichen Museen zu Berlin, das „Mädchen mit dem Weinglas” aus dem Braunschweiger Herzog Anton Ulrich-Museum sowie das Werk „Bei der Kupplerin” aus der Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden.
Zudem leiht die Frick Collection aus New York „Die unterbrochene Musikstunde“ zum ersten Mal an eine europäische Institution. Darüber hinaus geben 50 Werke der holländischen Genremalerei der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, darunter Hauptwerke von Pieter de Hooch, Gerard Dou, Frans van Mieris und Gerard ter Borch, einen umfassenden Einblick in das künstlerische Umfeld Vermeers.
Johannes Vermeer, Die unterbrochene Musikstunde, um 1661 The Frick Collection Public domain, via Wikimedia Commons
Die Ausstellung ist in neun Bereiche gegliedert, in deren Zentrum jeweils eines der Gemälde Vermeers steht. Im Laufe eines Parcours durchläuft das Publikum Ausstellungsräume, die sich nach einer Einführung dem künstlerischen Umfeld Vermeers in Delft und den Kapiteln „Spiegelungen der Seele“, „Wirklichkeit und Täuschung“, „Vom Stillstehen der Zeit“, „Die Sprache der Liebe“ oder „Botschaften des Herzens“ widmen. Finale des Rundgangs und Höhepunkt der Ausstellung ist der Raum, in dem das “Brieflesende Mädchen am offenem Fenster“, umgeben von herausragenden Einzelstücken des Kunstgewerbes, in seinem neuen Rahmen präsentiert wird.
Ein Dokumentations- und ein Filmraum befassen sich ausführlich mit der Restaurierung selbst und den innerhalb des Forschungsprojektes vorgenommen naturwissenschaftlichen Untersuchungen.
„Das gelehrte Spiel mit der antiken Allegorie rückt den Maler in eine historische Ferne, die in seiner Kunst gerade überwunden schien. Vermeer ist eben nicht unser Zeitgenosse. Andererseits kann man ihn gerade in dieser Fremdheit neu entdecken. Der Liebesgott mit dem Bogen gehörte ja nicht nur zum häuslichen Inventar. In seiner Mehrdeutigkeit wies er auch auf einen Zwiespalt zwischen Pflicht und Neigung, moralischen Leitsätzen und individuellen Sehnsüchten hin, der sich nach dem Sieg der Reformation erst richtig entfaltete.“
Liebes Gottchen
Peter Richter für die Sueddeutsche Zeitung | Artikel lesen
„Der Ruhm von Vermeers Gemälde verdankte sich ja nicht zuletzt der rätselhaft leeren Wandfläche, die das brieflesende Mädchen mit geradezu existenzieller Wucht nach links unten aus der Bildmitte drückte. Ob die Faszination für diese „Offenheit“ des Gemäldes nicht eher ein Wunschdenken der Moderne gewesen sei, wird in Dresden nun rhetorisch gefragt, um die offensichtlich auch intern nicht unumstrittene Freilegung zu rechtfertigen.“
Die starken Frauen des Barock
Nikolaus Bernau im Gespräch mit Marietta Schwarz | Beitrag lesen
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„… und es zeige sich das erstaunlich moderne Frauenbild des Malers: „Das sind sehr selbstbewusste Frauen“.
Frauen waren selbstständig. Nicht nur könnten sie lesen und schreiben, sie wiegen auch Gold und Perlen ab: „Das stimmt mit der zeitgenössischen Überlieferung überein, dass Frauen in den Niederlanden im 17. Jahrhundert selbstständige Handelsgenossinnen waren.“
„Themen, die sich um verbotene Freuden und den Reiz sexueller Grenzüberschreitungen drehen, waren in der niederländischen Genremalerei des 17. Jahrhunderts verbreitet und beliebt. Und Vermeer war eben nicht der Maler von züchtig-weltabgewandter Vergeistigung, als der er gerne gesehen wird.
So hat Scarlett Johansson in der Verfilmung des «Mädchens mit dem Perlenohrring» dem Meister gehörig den Kopf verdreht. Zu dem gleichnamigen Bild, seinem grössten Meisterwerk, soll Vermeer eine Magd inspiriert haben. Dieser wickelte er ein turbanartiges Tuch ums Haar und steckte ihr eine Perle ans Ohr. Dann malte er sie – und es war um ihn geschehen, aber auch um sie: Das Geheimnis, das Vermeer mit ihrem sehnsüchtigen Blick und den leicht geöffneten Lippen auf die Leinwand zauberte, war jedenfalls Stoff genug für den britischen Regisseur Peter Webber.“
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