Emil Nolde: Zwei am Meeresstrand (Detail), 1903, Nolde Stiftung Seebüll, Fotocredit: Fotowerkstatt Elke Walford, Hamburg, und Dirk Dunkelberg, Berlin, Fotobesitz: Nolde Stiftung Seebüll © Nolde Stiftung Seebüll
Emil Nolde zählt zu den bekanntesten und auf Grund seiner späteren nationalsozialistischen Überzeugung umstrittensten Künstlern der Klassischen Moderne. Die Ausstellung des Bucerius Kunst Forums in Kooperation mit der Nolde Stiftung Seebüll untersucht erstmals sein Frühwerk im Spiegel der nordischen Kunst.
Wo liegen die Anfänge des weltbekannten, in seiner Heimat tief verwurzelten und wegen seiner Anhängerschaft zum Nationalsozialismus kritisch zu betrachtenden Künstlers Emil Nolde? Die Ausstellung Nolde und der Norden geht dieser Frage nach und beleuchtet die weitgehend unerforschten Arbeiten des Künstlers, die in seiner Zeit in Dänemark von 1900 bis 1902 entstanden sind.
Die Schau deckt Motive und stilistische Elemente auf, die in den darauffolgenden Jahren charakteristisch für Nolde wurden. Erstmals wird der Einfluss der dänischen Künstlerinnen und Künstler auf Noldes Schaffen systematisch aufgezeigt.
Rund 80 größtenteils zwischen 1900 und 1902 entstandene Werke Emil Noldes werden den Gemälden von nordischen Künstlerinnen und Künstlern dieser Zeit wie Georg Nicolai Achen, Anna Ancher, Vilhelm Hammershøi, Viggo Johansen, Peter Ilsted, Peder Severin Krøyer, Laurits Andersen Ring und Jens Ferdinand Willumsen gegenübergestellt.
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Bucerius Kunst Forum, Hamburg | bis 23. Januar 2022
NOLDE
und der Norden
Pressetext: Bucerius Kunst Forum | www.buceriuskunstforum.de Kuratorinnnen: Kathrin Baumstark, Bucerius Kunst Forum und Magdalena M. Moeller
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KATALOG | NOLDE und der Norden
Gebundene Ausgabe
220 Seiten,
239 Abbildungen in Farbe
Hirmer Verlag
Sprache: Deutsch
22,5 x 28 cmDer Band spürt in reicher Bebilderung und profunden Texten den Anfängen von Noldes Malerei nach.
1900 besuchte Nolde die Weltausstellung in Paris und war zutiefst beeindruckt von der dort gezeigten Kunst Skandinaviens. Noch im selben Jahr entschloss er sich nach Kopenhagen zu reisen, mietete sich dort ein Atelier und widmete sich dem Studium der dänischen Malerei.
Die motivischen und stilistischen Eigenheiten der nordischen Künstlerinnen und Künstler inspirierten ihn außerordentlich und führten zu eigenen ungewöhnlichen Kompositionen. Ein wichtiges Sujet dieser Zeit stellt die Welt des Fantastischen dar, die Nolde aus literarisch und mündlich überlieferten Sagen des Nordens schöpfte.
Auch in der Darstellung von Interieurszenen und stimmungsvollen Landschaftsgemälden sind die skandinavischen Vorbilder zu spüren. So trug Noldes Zeit in Dänemark maßgeblich zur Entwicklung seiner Kunst bei.
Emil Nolde: Kanal (Kopenhagen), 1902, Nolde Stiftung Seebüll, Öl auf Sackleinen, 65,5 x 83 cm,
Fotocredit: Fotowerkstatt Elke Walford, Hamburg, und Dirk Dunkelberg, Berlin
Fotobesitz: Nolde Stiftung Seebüll © Nolde Stiftung Seebüll
Die Ausstellung, die auf einer Idee von Magdalena M. Moeller basiert, weist in der Gegenüberstellung von Noldes Werke mit Arbeiten dänischer Künstlerinnen und Künstler Parallelen in Motivik und Stil auf. Sie zeigt, wie prägend diese Werke für Emil Nolde waren und sogar bis in sein Spätwerk hinein Spuren hinterließen.
Die dänische Kunst um die Jahrhundertwende war berühmt für Interieurs mit weiblichen Rückenfiguren und seitlich einfallendem Licht, stimmungsvolle Landschaften mit dem besonderen Licht des Nordens und Figurendarstellungen mit symbolistischem Gehalt. Nolde griff diese Motive während seines Aufenthalts in Dänemark auf. Zudem beeinflusste ihn die Sagenwelt Skandinaviens zu frei geschöpften Bildideen in der Welt des Fantastischen. Vor diesem Hintergrund gliedert sich die Ausstellung in vier thematische Kapitel: Menschenbilder, Interieur, Landschaft, und Fantastik, die jeweils chronologisch angelegt sind.
Als Emil Nolde im Rahmen der Weltausstellung 1900 in Paris die von der Presse hoch gelobte und mit Medaillen ausgezeichnete Kunst in der dänischen Sektion sah, muss ihn dies nachhaltig beeindruckt haben. Er zog nach Kopenhagen und schloss nach seinem Studium in sehr renommierten privaten Malschulen in München und Paris ein weiteres Studienjahr in der besonders anerkannten Schule von Kristian Zahrtmann in Kopenhagen im Oktober 1900 an.
Neben seinem Aufenthalt in der Hauptstadt verbrachte er einige Monate auf dem Land: in Rungsted, in Hundested und längere Zeit in Lild Strand. In dieser Zeit lernte er auch seine Frau Ada Vilstrup kennen, die er kurz danach heiratete. Sie spielte eine maßgebliche Rolle in seiner zukünftigen Karriere. In Kopenhagen besuchte Nolde zahlreiche Ausstellungen mit Werken dänischer Künstlerinnen und Künstler und auch einzelne, bedeutende Maler, namentlich Vilhelm Hammershøi und Viggo Johansen, in ihren Ateliers oder Zuhause. Seine Begegnungen, Ausstellungsbesuche, alte und neue Erkenntnisse förderten seine Experimentierfreudigkeit.
So wurde der Aufenthalt in Dänemark für Nolde eine Zeit des Experimentierens, Ausschöpfens gesammelter Eindrücke und der Beginn seines Individualisierungsprozesses.
Emil Nolde: Frühling im Zimmer, 1904, Nolde Stiftung Seebüll, Öl auf Leinwand, 88,5 x 73,5 cm
Fotocredit: Fotowerkstatt Elke Walford, Hamburg, und Dirk Dunkelberg, Berlin
Fotobesitz: Nolde Stiftung Seebüll © Nolde Stiftung Seebüll
In der dänischen Kunst waren bereits Anfang des 19. Jahrhunderts Interieurszenen ein auffällig häufiges Bildmotiv. Hammershøi, als einer der bekanntesten dänischen Künstler der Zeit, war insbesondere für diese Motive berühmt. Auch Viggo Johansens, Anna Ancher, Joakim Skovgaard, Georg Achen, Peter Ilsted und Carl Holsøe griffen dieses Thema auf.
Nolde widmete sich dem Sujet erstmals in seiner Zeit in Lild Strand. In Skagen, einem Fischerdorf, das sich zur Künstlerkolonie skandinavischer Künstlerinnen und Künstler entwickelte, die am Aufbruch in die dänische Moderne mitwirkten, entsteht ein ähnlicher Umgang in der Darstellung der Interieurs. Dieser lässt sich auch in Noldes Werk beobachten: eine weibliche Figur als zentrales Motiv in Rückenansicht, ein seitlicher Lichteinfall und eine Atmosphäre, die auf das psychologische Befinden der Figur hinweist.
Peder Severin Krøyer: Sommeraften på Skagens Sønderstrand. Anna Ancher og Marie Krøyer / Sommerabend am Südstrand von Skagen. Anna Ancher und Marie Krøyer, 1893, Ausschnitt,
The Hirschsprung Collection, Kopenhagen, Öl auf Leinwand, 38,5 x 60 cm,
© The Hirschsprung Collection, Kopenhagen
In den Landschaftsbildern der skandinavischen Künstlerinnen und Künstlern dieser Zeit spielt das nordische Licht eine herausgehobene Rolle. Eine blaue Tonalität erzeugt eine romantische oder gar mystische Stimmung und intensiviert die Bildaussage. Dies lässt sich beispielsweise auch in Noldes Gemälde „Zwei am Meeresstrand“ erkennen.
Nolde malte in Dänemark erstmals Meeresbilder, die als „Samenkorn“ für sein Gesamtoeuvre gesehen werden. Zudem ist eine Symbiose zwischen Natur und Mensch in der Formgebung und Farbigkeit in einigen seiner Werke zu erkennen. Es treten die realen Bezüge in den Hintergrund und Formen und Farben ordnen sich dem Gesamtgefüge unter. Sie machen einer größeren Offenheit Platz, die in den Folgejahren wichtiger Bestandteil von Noldes Werken wird.
Auch seine Hinwendung zu intensiven, leuchtenden Farben und sein großes Interesse an den Lichtverhältnissen wird hier bereits sichtbar. Ein Grund für die Inspiration Noldes durch Kopenhagen mag auch in seiner dänisch-deutsch Prägung liegen, da er im Grenzgebiet zu Dänemark aufwuchs. Mit sämtlichen dänischen Künstlerinnen und Künstlern dieser Periode verbindet Nolde die tiefe Verwurzelung in der eigenen Heimat. Diese Verbundenheit zwischen Menschen und Umgebung, die einer geographischen und kulturellen Region zuzuordnen ist, stellt auch eine Parallele zur nationalromantischen Kunst der skandinavischen Länder und Island dar.
Emil Nolde: Melkmädchen I, 1903, Nolde Stiftung Seebüll, Öl auf Leinwand, 64,5 x 83 cm,
Fotocredit: Fotowerkstatt Elke Walford, Hamburg, und Dirk Dunkelberg, Berlin
Fotobesitz: Nolde Stiftung Seebüll © Nolde Stiftung Seebüll
Bekannt für seine farbgewaltigen Landschaften und Blumenbilder, sah Nolde sich selbst als Figurenmaler: „Die Menschen sind meine Bilder. Lachet, jubelt, weinet, oder seid glücklich. Ihr seid meine Bilder, und der Klang Eurer Stimme, das Wesen Eurer Charaktere in aller Verschiedenheit, Ihr seid dem Maler Farben.“ Auch in der Darstellung der Menschen findet Nolde Anregung in der Kunst der nordischen Malerinnen und Maler.
Im Bereich der Fantastik zeigt die Ausstellung, wie die Sagenwelt des Nordens mit Wikingern, Kriegern und Königen Nolde schon früh und immer wieder als Quelle der Inspiration diente und ihn zu fantastischen Figurenbildern anregte. In Dänemark schuf er mit Vor Sonnenaufgang zwei frei erfundene, wurmartige Flugwesen und mit einer umfangreichen Werkgruppe zum Thema Räuber, Figuren, die in seiner Darstellung der Märchenwelt zugeordnet werden können. 1904, 1911/12, 1922 und ab den 1930er Jahren greift Nolde den Motivkreis erneut auf mit Werken wie Begegnung I (1904), Wiking (Halbfigur) (1912) und Gaut der Rote (1938).
Emil Nolde: Gaut der Rote, 1938, Nolde Stiftung Seebüll, Öl auf Leinwand, 100,5 x 74 cm
Fotocredit: Fotowerkstatt Elke Walford, Hamburg, und Dirk Dunkelberg, Berlin
Fotobesitz: Nolde Stiftung Seebüll © Nolde Stiftung Seebüll
Noldes Rolle im Nationalsozialismus wurde 2019 in der Ausstellung Emil Nolde – Eine deutsche Legende. Der Künstler im Nationalsozialismus in Berlin auf der Grundlage einer umfangreichen Recherche thematisiert.
Die Ausstellung im Bucerius Kunst Forum konzentriert sich nun auf die weitgehend unerforschten Arbeiten Noldes im Zeitraum von 1900 bis 1902. Vor diesem Hintergrund wird in der Ausstellung mit der Spannung zwischen künstlerischem Werk und politischer Gesinnung umgegangen und die historischen Erkenntnisse werden offen dargelegt, wenn sie sich inhaltlich ergeben. Zu Noldes Verhalten im Nationalsozialismus sei hier auf die im Rahmen der Berliner Ausstellung überarbeiteten Biografie des Künstlers der Nolde Stiftung Seebüll hingewiesen.
Kunst und Kalkül – Der ganze Nolde
Emil Nolde, bekannt als der farbstarke Maler des Nordens, ist wohl auch der berühmteste „entartete Künstler“. Von keinem anderen wurden im Nationalsozialismus so viele Werke beschlagnahmt. Doch Nolde war ein Stratege, der seinem Erfolg alles untergeordnet hat – so auch seine nationalsozialistische, antisemitische Gesinnung, deren ganzes Ausmaß lange verschwiegen wurde.
Emil Nolde (1867-1956), einer der wichtigsten Vertreter des deutschen Expressionismus, verkörpert ein Dilemma: Einerseits galt er im Nationalsozialismus als „entarteter“ Künstler, wurde zeitweise mit einem Berufsverbot belegt und nach 1945 als Opfer des Dritten Reichs anerkannt. Andererseits war der Maler seit 1934 Mitglied der NSDAP und vertrat die antisemitischen Ideologien des NS-Regimes. In seinen Briefen und Schriften positionierte er sich als antijüdischer Vorkämpfer einer neuen deutschen Kunst und entwickelte einen „Entjudungsplan“, der eine Territorialstaatenlösung vorsah.
Die bisherige Nolde-Erzählung als ausschließlich verfemter Künstler ist nicht länger haltbar. Nolde selbst hat diesen Mythos kreiert: Vor seinem Tod vernichtete er verfängliche Notizen und Dokumente. Außerdem erfand er eine Legende, die sich über viele Jahrzehnte fortschrieb: die angeblich heimlich im Versteck entstandenen „Ungemalten Bilder“.
Im Rahmen eines mehrjährigen Forschungsprojekts wurde die Rolle Noldes im Dritten Reich erstmals eingehend untersucht und vorgestellt. Die Expertinnen und Experten des Projekts geben ihre Antworten auf grundlegende Fragen. Denn: Wie sollte mit Künstlerinnen und Künstlern umgegangen werden, die eine solch schwierige Biografie aufweisen? Und: Was sind die Maßstäbe für eine Bewertung von Kunst?
Emil Nolde in seiner Zeit. Im Nationalsozialismus
MONOGRAFIE | EMIL NOLDE
Gebundene Ausgabe, Hardcover, Pappband,
224 Seiten
160 farbige Abbildungen
Herausgeber: Prestel Verlag (13. Januar 2020)
Sprache: Deutsch
17.6 x 2.4 x 24.6 cm
Dichtung und Wahrheit: Noldes Selbstbiografie
Emil Nolde – „ein ,entarteter‘ Entarteter“? Das von der Nolde Stiftung Seebüll in Kooperation mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ausgerichtete Symposion „Emil Nolde in seiner Zeit. Im Nationalsozialismus“ thematisiert Leben und Wirken Emil Noldes (1867–1956) im „Dritten Reich“.
Seine Sympathien für den Nationalsozialismus und sein Antisemitismus sind seit Langem bekannt. Trotzdem wurde er von den damaligen Machthabern zurückgewiesen, sein Werk als „entartete Kunst“ geächtet und aus allen deutschen Museen verbannt. Nach 1945 wird Nolde einer der bekanntesten und gefragtesten Künstler in Deutschland. Angesprochen werden auch die Legendenbildung im Nachkriegsdeutschland durch die Überarbeitung bzw. Publikation der Selbstbiografie.
Zwölf namhafte Experten, Historiker und Kunsthistoriker, Provenienzforscher und Publizisten, untersuchen mit sehr unterschiedlichen Ansatzpunkten das Schicksal Noldes im „Dritten Reich“ und ordnen sein Verhalten in das Zeitgeschehen ein. Schwerpunkte sind die Bedeutung der Propagandaschau „Entartete Kunst“ und die Praktiken der Reichskammer der bildenden Künste sowie die Möglichkeiten des zeitgenössischen Kunsthandels. Analysiert werden zudem Noldes Verhalten jüdischen Sammlern gegenüber und seine Verwurzelung in der nordischen Heimat.
PRESSESCHAU
Chance verpasst
Till Briegleb für die Sueddeutsche Zeitung | Artikel lesen
„War Emil Nolde nicht eben noch als verlogener Antisemit schwer umstritten? In Hamburg widmen sich gleich zwei Ausstellungen dem Künstler – ohne dies ausreichend zu problematisieren.
Darum müssen sich die Hamburger Häuser selbst fragen, ob sie mit ihren Themensetzungen und der fehlenden Kontextualisierung nicht eher weiter an der Legende von Emil Nolde als genialem deutschen Großkünstler gestrickt haben.“
BUCERIUS KUNST FORUM
NOLDE und der Norden
Ausstellung bis 23. Januar 2022
Bitte beachten Sie die Informationen zum Schutz- und Hygienekonzept des Museums, zur Eindämmung der Corona-Epidemie.