Cindy Sherman für das Magazin Harpers Bazaar - Untitled #299, 1994 (Ausschnitt)
Subversive fotografische Selbstinszenierung als Ausgangspunkt für Fragen nach Identität, Gender, Stereotypen und Alter | Die Winterausstellung in der Sammlung Falckenberg, Phoenix-Hallen. Eintritt frei
Seit knapp 50 Jahren zieht sich das Thema Mode wie ein roter Faden durch das Schaffen der US-amerikanischen Künstlerin Cindy Sherman – die Ausstellung »Anti-Fashion« setzt darauf den Fokus und beleuchtet ihr fotografisches Werk aus einer neuen Perspektive. Dabei wird das Wechselspiel zwischen Mode und Kunst deutlich. Denn Sherman nutzt ihre zahlreichen Aufträge von Zeitschriften wie Vogue und Harper’s Bazaar sowie ihre enge Zusammenarbeit mit berühmten Designerinnen und Designern als ständige Quelle der Inspiration.
Aber auch umgekehrt beeinflusst die Künstlerin bis heute die Ästhetik der Modewelt und setzt wesentliche Impulse, auch für eine ganze Generation von Fotografinnen und Fotografen. Durch das Medium der Fotografie sind Mode und Bildende Kunst seit jeher im Dialog – Cindy Sherman stellt darüber hinaus jedoch das ganze System mit all seinen Abgründen in Frage.
Das ambivalente Verhältnis Shermans zur Modewelt
steht im Fokus der Ausstellung »Anti-Fashion«, die vom 07. Oktober 2023 bis 03. März 2024 eintrittsfrei in der Sammlung Falckenberg (Phoenix-Hallen, Hamburg-Harburg) zu sehen ist.
Mit nationalen und internationalen Leihgaben und aus dem New Yorker Archiv der Künstlerin exklusiv ausgewählten Materialien widmet sich die Ausstellung erstmalig dem Thema Mode im Werk von Cindy Sherman. Ergänzt wird sie von fotografischen und künstlerischen Positionen aus dem Bestand der Sammlung Falckenberg – darunter Werke von John Baldessari, Karla Black, Monica Bonvicini, Richard Prince und Robert Longo.
Anti-Fashion
Ihr Interesse an der Modewelt zeigt eine subversive Haltung gegenüber dem, was sie repräsentiert. Ihre Fotografien zeigen Figuren, die alles andere als begehrenswert sind und damit allen Konventionen von Haute Couture sowie den üblichen Vorstellungen von Schönheit widersprechen. Nicht zuletzt erweist sich das Thema Mode für die Künstlerin als Ausgangspunkt ihrer kritischen Fragen nach Gender, Stereotypen und dem Umgang mit dem Altern. Shermans große Bandbreite an Charakteren zeigt die Künstlichkeit und Wandelbarkeit von Identität, die mehr denn je wählbar, (selbst-)konstruiert und fließend erscheint.
Durch Humor und Inszenierung werden ihre Bilder zu Parodien der Modefotografie: Sie vermitteln nicht den Glamour, Sexappeal oder die Eleganz, die normalerweise mit der Mode assoziiert und von Modezeitschriften verbreitet werden. Stattdessen zeigen sie Figuren, die alles andere als begehrenswert sind – vertrottelt, hässlich, hysterisch, wütend, oder leicht verrückt – und damit allen Konventionen von Haute Couture und den üblichen Vorstellungen von Schönheit widersprechen.
KATALOG | Cindy Sherman.
Anti-Fashion
Taschenbuch
168 Seiten
130 farbige Abbildungen
Herausgeber: Sandstein Kommunikation
Sprache: Deutsch/Englisch
24.6 x 1.6 x 24.7 cm
Egal ob Sherman in ihren Figuren Außenseiter, Partygänger, Clowns, Protagonisten von Reality Shows oder karnevaleske Figuren darstellt, sie sind immer Opfer von Schönheitsnormen und Verhaltensmustern. Mit ihren kaum kaschierten Spuren von Schönheitsoperationen und ihren knalligen Outfits zeigen ihre älteren Frauen das verzweifelte Streben nach Jugend. Shermans Fotografien sind auch ein Kommentar zum Thema Altern in unsere Gesellschaft und zu den Möglichkeiten digitaler und operativer Verschönerung. Sie zeigen aber zugleich, wie unter der glänzenden Oberfläche der Modeindustrie auch Gewalt, Grausamkeit und Aggressivität mit im Spiel sind.
Bekannt wurde die Künstlerin durch ihre mehrteilige Fotoserie UNTITLED FILM STILLS (1977-1980), in der sie stereotype Frauenfiguren aus fiktiven Filmszenen der 1950er-Jahre verkörpert. Ihr künstlerisches Prinzip hat sich seitdem nicht wesentlich verändert.
Kuratorin: Alessandra Nappo, Staatsgalerie Stuttgart
Die Ausstellung ist anschließend vom 28.09.2024 bis 02.02.2025 im FOMU – Fotomuseum Antwerpen zu sehen.
VIDEO | Ausstellungsfilm »Cindy Sherman. Anti-Fashion«, Staatsgalerie Stuttgart
In dem Film trifft Kuratorin Dr. Alessandra Nappo auf Stella von Senger (Creative Director und Influencerin) und Sebastian Hoffmann (Galerist). Die beiden schreiben zusammen mit Cecil von Renner als das Trio TADAN ihre eigene Kolumne bei der WELTKUNST. In dem Gespräch mit Dr. Alessandra Nappo erörtern sie Shermans Werke und Arbeitsweise.
Links: Cindy Sherman für das Magazin Harpers Bazaar - Untitled #299, (in 1994: 40 Jahre alt) Rechts: Maria Lassnig (in 2005: 86 Jahre alt) Maria Lassnig ist in der Ausstellung nicht zu sehen - uns gefällt nur der Vergleich der Selbstdarstellungen.
Ich posiere ja nur
Claudia Müller für DIE ZEIT, 2007 | Gespräch lesen
ZEIT:
Als sie Anfang der achtziger Jahre anfingen, sich selbst zu fotografieren, galt Fotografie nicht als Kunst. Wie schwer war es, in dieser Kunstwelt einen Platz zu finden?
Sherman:
„Es war toll, wenn man es mit der Situation heutiger junger Künstler vergleicht. Auch wenn es eine extrem harte Zeit war. Wir haben nichts verkauft und kein Geld verdient, aber das hat auch niemand von uns erwartet. Die einzigen Leute, die mit Kunst Geld verdienten, waren zu dieser Zeit Robert Rauschenberg oder Jasper Johns oder Andy Warhol. Wir hatten das Gefühl, einfach alles machen zu können, und mussten uns nicht drum kümmern, ob diese Sachen irgendjemand kauft. Das machte einen freier und viel kreativer.
Heute gibt es so etwas in dieser Form nicht mehr. Wir hatten alle irgendwelche Jobs als Kellner oder sonst irgendwas. Ich habe in einer Galerie gejobbt, um mich zu finanzieren. Das war eine andere Art von Leben. Politisch war das auch eine sehr aufregende Zeit. Anstatt lange zu diskutieren oder uns zu fragen, was politische Kunst ist, haben wir einfach gehandelt. Die Arbeit sprach für sich selbst. Viele Künstler arbeiteten auf unterschiedlichen Ebenen. Wie man sich ausdrückte, war egal. Es gab Maler, die gleichzeitig auch Filmemacher waren, oder Künstler, die in einer Band spielten, wie zum Beispiel Kim Gordon von Sonic Youth. Es war einfach eine Zeit, in der sich die unterschiedlichsten kulturellen Disziplinen kreuzten oder aufeinanderprallten und das kein Widerspruch war.“
SAMMLUNG FALCKENBERG
Die Sammlung Falckenberg ist eine international renommierte Kunsthalle und Dependance der Deichtorhallen in den Phoenix-Hallen, Hamburg-Harburg.
CINDY SHERMAN.
Anti-Fashion
AUSSTELLUNG
07. Oktober 2023 — (verlängert bis) 03. März 2024ÖFFNUNGSZEITEN UND PREISE
Die Ausstellung CINDY SHERMAN Anti-Fashion ist bis zum 04. März 2024 jeden Samstag und Sonntag von 12–17 Uhr geöffnet. Eintritt frei.
Kurator:innenführungen, Sonderführungen durch die Ausstellungen | mehr INFOS
Öffentliche Führungen
Ergänzend zu den Öffnungszeiten am Wochenende öffnet die Sammlung Falckenberg im Rahmen von 90-minütigen, öffentlichen Führungen durch die Ausstellung mit begrenzter Teilnahmezahl.
Jeden Freitag um 12, 15 und 17 Uhr (Dauer ca. 90 Minuten).
Aufgrund begrenzter Teilnahmezahl ist eine Ticketbuchung erforderlich.
12 Euro, erm. 9 Euro, Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre frei | Tickets unter tickets.deichtorhallen.de.ANFAHRT
mit Fernbahn/Nahverkehr: Ab HH-HBF, S3 Richtung Neugraben, Buxtehude, Stade oder mit der S 31 Richtung Harburg Rathaus, Neugraben bis Bahnhof Harburg (13 Min.). Von dort (S-Bahn-Ausgang Moorstr.) sind es etwa 10 Min. zu Fuß zur Sammlung Falckenberg. Mit dem Auto: A253 Abfahrt Hamburg-Wilstorf, A1 Abfahrt Hamburg-Harburg