Peter Saul - The Government of California, 1969
Die Sammlung Falckenberg zeigt bis 28.01.2018 einen umfassenden Überblick über das Werk des US-amerikanischen Künstlers PETER SAUL. Die Ausstellung ist eine Übernahme der vorab in diesem Jahr in der SCHIRN Kunsthalle Frankfurt gezeigten Kunstschau, die in Hamburg durch eine umfängliche Präsentation mit Werken aus der Sammlung Falckenberg ergänzt wird.
Abseits von großen künstlerischen Schulen hat Saul ein äußerst eigenwilliges Œuvre entwickelt. Nie wirklich zu einer Gruppe oder Bewegung gehörend, malt er seit mehr als 50 Jahren auf seine Weise gegen die wechselnden künstlerischen Moden an. Sauls Bilder erzählen Geschichten, neigen zur Übertreibung und wehren sich gegen eindeutige Lesarten.
In seiner ganz eigenen Sprache hat er ab den späten 1950er-Jahren ein Crossover aus Pop Art, Surrealismus, Abstraktem Expressionismus, San Francisco Funk und Cartoon Culture entwickelt, in dem er politische und soziale Themen anzusprechen versteht.
Erstmals in Europa präsentieren die Schirn Kunsthalle Frankfurt und die Sammlung Falckenberg in Hamburg einen umfassenden Überblick über das bislang wenig beachtete Werk dieses „artist’s artist“.
Präsentiert werden rund 60 Arbeiten, darunter wegweisende Werkgruppen, wie seine Ice Box Paintings, seine Comic-Narrationen und seine Vietnam-Bilder aus den 1950er- und 1960er-Jahren, noch nie ausgestellte Zeichnungen sowie ausgewählte späte Arbeiten der 1980er- bis 2000er-Jahre. Die Ausstellung wird durch eine umfängliche Präsentation mit Werken aus der Sammlung Falckenberg ergänzt, unter anderem von John Baldessari, Werner Büttner, André Butzer, Erró, Philip Guston, Mike Kelley, Martin Kippenberger, Paul McCarthy, John Miller, Manuel Ocampo, Albert Oehlen, Joyce Pensato, Raymond Pettibon, Richard Prince, Daniel Richter und Philippe Vandenberg.
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Schirn Kunsthalle, Frankfurt | bis 03. September 2017 Deichtorhallen Hamburg/Sammlung Falckenberg, 30. September 2017 – 28. Januar 2018
PETER SAUL – Pop, Funk und Anti-Helden
Pressetext: Schirn Kunsthalle, Frankfurt Kuratorin: Martina Weinhart, Schirn Kunsthalle Frankfurt
KATALOG | PETER SAUL
Texte (dt./eng.) von Martina Weinhart, Richard Shiff, Interview mit Peter Saul von Martina Weinhart
Taschenbuch
Softcover mit dreiseitigem farbigen Buchschnitt
168 Seiten
mit 100 farbigen Abbildungen
Verlag: Snoeck
Sprache: Deutsch / Englisch
Format 30 x 24 cm
»Mir liegt die Weltuntergangsstimmung eher«
Wohl im Lauf der 1960er Jahre ist auch die Malerei in die Schleife von permanentem Rückgriff und stetiger Transformation geraten, die – im Gegensatz zur Fortschrittshypothese – als die Arbeitsgrundlage der Postmoderne gilt. Peter Saul (*1934 in San Francisco) ist einer der wichtigsten Protagonisten dieses Umbruchs, der oftmals fälschlicherweise ausschließlich mit dem Aufkommen der Pop-Art verbunden wird.
Mit seinem malerischen wie zeichnerischen Werk hat Peter Saul ein komplexes Amalgam von Hoch- und Gegenkultur geschaffen, das Comic, Pop, Surrealismus, Abstrakten Expressionismus mit der radikalen (und teils trivialen) Gesellschaftkritik der Haschrebellen vereint. Natürlich ist ein solcher Maler nie Verfechter des amerikanischen Truppeneinsatzes in Vietnam, nie ein Parteigänger Reagans oder der Bush’s gewesen, doch sein Werk politisch auf Agit-Prop zu reduzieren, hieße, den hedonistischen Impuls einer mitunter barocken Kompositionslust in seinen Bildern zu übersehen.
Nach Publikationen zum Werk der letzten Jahre in den USA rückt die von Martina Weinhart und der Schirn konzipierte erste Einzelausstellung in Europa mitsamt dem Katalog nun insbesondere das Werk der 1960er Jahre in den Fokus, als Sex and Crime, Politik, Drogen, Karma und Revolte gerade erst in die Welt in Öl einzudringen begannen.
Kenner fühlen sich bei einigen von Sauls Werken durch ihre pastellfarbene Palette an Philip Guston erinnert, den anderen großen US-Maler des späten Ruhms. Dazu befragt, sagte Peter Saul nur: »Gustons Bilder haben mich nie interessiert, für meine Begriffe sind sie zu ›softcore‹. Seine Haltung gegenüber dem Thema ist mir zu vergnügt. Mir liegt die Weltuntergangsstimmung eher. Ich lache gerne über schlechte Nachrichten.«
Peter Saul - Sickroom, 1964, Öl auf Leinwand, 128,3 x 149,8 cm, Sammlung des Künstlers Peter Saul, © Peter Saul, Courtesy Mary Boone Gallery, New York
Lange bevor „Bad Painting“ ein zentrales Anliegen der zeitgenössischen Kunst wurde, verletzte Peter Saul ganz bewusst den guten Geschmack. In seiner ganz eigenen Sprache hat der US-amerikanische Maler ab den späten 1950er-Jahren ein Crossover aus Pop Art, Surrealismus, Abstraktem Expressionismus, San Francisco Funk und Cartoon Culture entwickelt, in dem er politische und soziale Themen anzusprechen versteht.
Mit der Pop Art teilt Peter Saul das Interesse am Banalen, an der Konsumgesellschaft und den heiteren Bildwelten des Comics in leuchtenden, ansprechenden Farben. Nicht zuletzt ist sein Werk aber auch mit den ästhetischen Strategien der Gegenkultur in Kalifornien verbunden.
Eine fast zornige Malerei zeigt sich, wenn Saul die Schattenseiten des American Dream thematisiert. Hier offenbart sich die Gleichzeitigkeit von überbordendem Humor und spielerischer, aber doch harscher Systemkritik. Witz, Slapstick, Sprachspiel, Comic, Persiflage, oft auch derber Humor sind die Mittel seiner karikaturhaften Angriffe auf die US-amerikanische Hochkultur.
„Ende der 50er- Anfang der 60er-Jahre war Pop eine Revolution, eine Sache der Jugend. Und es war ungeheuer provokant auf einmal den Alltag in die hehre Welt der Kunst hineinzutragen. So auch bei Peter Saul, der einen ganz eigenen Kosmos entwirft, in dem Kühlschränke, Superman und Kandor, Saigon und der Vietnamkrieg eine in schrille Farben getauchte Welt bilden. Pop, politische Botschaft und ein kritischer Blick auf die US-amerikanische Gesellschaft gehen eine logische Verbindung ein. Der schrille Pop bringt die nicht ganz so bequemen Themen der 68er-Generation plakativ auf die Leinwand.“ [ Dr. Martina Weinhart, Kuratorin, Schirn Kunsthalle Frankfurt ]
Die Malerei von Peter Saul entspringt einer der wohl spannendsten Phasen der US-amerikanischen Kunstgeschichte. Mitte der 1950er-Jahre brach eine junge Künstlergeneration mit den Regeln und Werten des Abstrakten Expressionismus. Es wurde eine neue Parallele von Kunst und Leben entdeckt, in der das traditionelle Kunstwerk ausgedient hatte.
In der Beschäftigung mit dem Alltag ging es darum, eine bürgerliche Vorstellung von Originalität und Einzigartigkeit zurückzuweisen. Pop etablierte sich als Leitkultur, wurde zu einem globalen Phänomen und fand mit Andy Warhol, Roy Lichtenstein, Jaspar Johns und Robert Rauschenberg seine bekanntesten Vertreter. Peter Sauls Bilder wurden häufig der Pop Art zugeordnet. Trotz der motivischen Verwandschaft und dem gemeinsamen Interesse an der Alltagskultur, die seine Arbeiten mit der Pop Art verbinden, grenzen sie sich aber auch deutlich davon ab.
Peter Saul - Ice Box 8, 1963, Öl auf Leinwand, 190 x 160 cm, Hall Collection, © Peter Saul, Courtesy Hall Art Foundation, Foto: Jeffrey Nintzel
Den Auftakt der Ausstellung in der Schirn bildet seine frühe Werkgruppe der sogenannten Ice Box Paintings aus den späten 1950er- und frühen 1960er-Jahren. Die Ice Box, der Kühlschrank, ist Symbol für Wohlstand und wirtschaftliches Wachstum der Nachkriegsgesellschaft. Sauls Bilder stellen das Chaos einer überbordenden Dingwelt dar und berichten von den Verheißungen, die damit einhergehen. Gleichzeitig sind sie auch die Bühne für Erzählungen über die Massen- und Konsumkultur: In wüster Formensprache packt Saul ganze Leben in diese Ice Boxes.
Mit ihrem komplex-chaotischen Bildaufbau zeigen sie auch eine gewisse Nähe zur dynamischen Gestik des Abstrakten Expressionismus eines Willem de Kooning. Saul vereint in seiner Malerei gegensätzliche Stilrichtungen wie Pop Art und Abstrakten Expressionismus und fügt seinen Bildern das Erzählen von Geschichten als neues, eigenes Moment hinzu.
Peter Saul - Superman and Superdog in Jail, 1963, Öl auf Leinwand, 190,5 x 160 cm, Collection of KAWS, © Peter Saul, Foto: Farzad Owrang
Als Protagonisten für seine Narrationen wählte der Maler häufig populäre Helden der Comicstrips, wie etwa Mickey Mouse, Superman oder Donald Duck. Es sind Figuren, die jeder kennt und mit denen sich die Öffentlichkeit identifizierte. In seinen Arbeiten der 1960er-Jahre verhandelt er mit seinen Comic-Charakteren ernste, politische Inhalte.
In dem Bild Mickey Mouse vs. The Japs (1962) lässt er die kleine Mickey Mouse, stellvertretend für den Durchschnittsamerikaner, gegen die Japaner kämpfen und bedient damit weniger die Vorstellung der USA als Melting Pot, sondern verweist vielmehr auf die Brüche und Konflikte zwischen den Kulturen. Neben Mickey Mouse tritt Superman – bis heute die bekannteste Figur im Kreise der Superhelden – häufig in seinen Arbeiten auf. Saul dekonstruiert jedoch die Rolle des tadellosen Helden: Er setzt ihn mit Banalitäten ins Bild und konzentriert sich auf seine dunklen Momente der Niederlage.
Peter Saul - Superman in the Electric Chair (1967)
Die Schirn präsentiert aus dieser Superman-Werkgruppe etwa Superman and Superdog in Jail (1963), in dem der Held mit zerrissenem Kostüm im Gefängnis sitzt, unter ihm eine Toilettenschüssel, aus der Superdog genüsslich sabbert. Oder etwa auch Superman’s Punishment (1963), in der eine monströse Maschine Superman plattdrückt: Das Bein wird abgeknickt, der Arm flachgewalzt, und das Gesicht ist aschgrau.
In einer ganzen Reihe von weiteren Bildern rückt Saul auch die Gegenseite ins Zentrum seiner Erzählungen und illustriert Verbrechen und Gewalt. Er zeigt einen Killer (1964), einen Frauenmord – Woman Being Murdered (1964), einen Täter, der nach einem Sex Crime (1964) die Frauenleiche beseitigen will, oder eine Gruppe von Bankräubern, das Super Crime Team (1961/62). Wo das Verbrechen enden kann, illustriert Saul u. a. in dem Werk Crime Doesn’t Pay (1963) – benannt nach einer beliebten Comic-Serie in den USA – und in Man in Electric Chair (1964), in denen die Gangster und Schurken mit dem Gesetz konfrontiert werden.
Peter Saul - All the Money in Palestine, 1969, Acryl auf Leinwand, 68 x 96 inches
In der Mitte der 1960er-Jahre beginnt Saul, seine Kunst vermehrt mit politischen Botschaften zu verknüpfen. Unverkennbar ist auch seine Nähe zur Funk Art, im Speziellen zur Junk Culture, einem spezifischen Genre, das an der West Coast und besonders in San Francisco stark ausgeprägt war.
Seine künstlerische Haltung mit einer Vorliebe für alles Bizarre, Sinnliche, wenig Förmliche und oft sogar Hässliche wird schließlich auch in seinen in der legendären Funk-Ausstellung 1967 am University Art Museum in Berkeley präsentierten Arbeiten sichtbar. Die Funk Art war Ausdruck einer erstarkenden Gegenkultur, die leidenschaftlich die Forderungen des Konsumwahns, die Bigotterie und die Verklemmtheit, die Vulgarität und die Ungerechtigkeit der Welt verachtete.
Als einer der ersten Maler wendete sich Saul 1965 mit seinen Vietnam-Bildern einem der dunkelsten Kapitel der amerikanischen Geschichte zu. Die Schirn präsentiert Yankee Garbage (1966), Vietnam (1966) und das Hauptwerk dieser Werkgruppe, Saigon (1967), in denen Saul Partei ergreift und seinen Zorn über vom US-amerikanischen Militär in Vietnam begangene Gräueltaten wie Folter und sexualisierte Gewalt ausdrückt. Auch hier bedient sich der Künstler der Comicsprache: Alle Figuren sind in einem chaotischen Durcheinander verbunden, grell bunt und überzeichnet. In diesen Bildern zeigt sich die Gleichzeitigkeit von sehr finsterem, sarkastischem Humor und bissiger Kritik am politischen System.
Peter Saul - San Quentin # 1 (Angela Davis at San Quentin), 1971, Öl auf Leinwand, 180,3 x 238,8 cm, © Peter Saul, Collection of KAWS
Neben Themen wie dem Vietnamkrieg und der sexuellen Ausbeutung der Frau verhandelt Saul in seinen Bildern auch Rassenkonflikte und die gesellschaftliche Spaltung durch Armut und Reichtum.
Die Schirn stellt eine Auswahl seiner aussagekräftigsten Bilder in der Ausstellung vor, wie etwa The Government of California (1969), in dem Saul einen Showdown von Gut und Böse unter der Golden Gate Bridge inszeniert: der ultra-konservative Gouverneur Ronald Reagan gegen die Menschenrechtsikone Martin Luther King.
Neben King hat der Maler mehrfach die Bürgerrechtlerin Angela Davis porträtiert. Das Bild San Quentin #1 (Angela Davis in San Quentin) (1971) zeigt sie nackt vor den Toren des Gefängnisses, gequält von drei Schweinchen namens „Justis“, „Munny“ und „Powur“ gequält. In diesem Werk wird auch Sauls Lust am Sprachspiel und das Ignorieren von Rechtschreibung und Semantik deutlich. Sprachliche Regelbrüche ziehen sich durch sein gesamtes Œuvre.
Peter Saul - Bush at Abu Ghraib, 2006, Acryl auf Leinwand, 198 x 228,5 cm, Hall Collection, © Peter Saul, Courtesy Hall Art Foundation, Foto: Jeffrey Nintzel
Reagan kehrt im Jahr 1983 als Motiv zurück: Mit Ronald Reagan in Grenada bildet Saul den ehemaligen Westernhelden und damaligen Präsidenten der USA als wild um sich ballernden, finsteren Anti-Superman mit Dollarnoten in der Hand ab. Bis heute bewegt sich Peter Sauls Malerei entlang aktueller Themen des US-amerikanischen Zeitgeschehens, wie etwa das Bild Bush at Abu Ghraib aus dem Jahr 2006, zeigt.
Die von der Schirn Kunsthalle Frankfurt konzipierte Ausstellung wird im Anschluss in der Sammlung Falckenberg, Hamburg vom 30. September 2017 bis 28. Januar 2018 zu sehen sein.
VIDEO | Ausstellungsvideo der Frankfurter Schirn
SAMMLUNG FALCKENBERG
Phoenix-Hallen / Hamburg-Harburg
PETER SAUL – Pop, Funk und Anti-Helden
bis 28. Januar 2018
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