Raymond Pettibon, No Title (Talking to myself), 2014, ink, acrylic, pencil on paper, 48.3 x 61 cm, Courtesy Contemporary Fine Arts, Berlin
Ein geschärftes Spiegelbild der US-amerikanischen Kultur: Mit Raymond Pettibon. Homo Americanus präsentiert das Museum der Moderne Salzburg das außergewöhnliche Werk eines großen Zeichners. Anhand von über 500 Arbeiten, dazu Plattenhüllen, Flyer, Fanzines und Filme, beleuchtet die Ausstellung, wie Pettibon prägende Narrative des amerikanischen Traums untergräbt – von Woodstock bis hin zum sogenannten Krieg gegen den Terrorismus.
Die Ausstellung will Raymond Pettibon als Mythologen zeigen, der die prägenden Narrative der amerikanischen Kultur von Woodstock über die Präsidentschaften bis zum Krieg gegen den Terrorismus aufgreift und unterläuft. Sein Mittel sind Zeichnungen, in denen er Bild und Text uneinheitlich miteinander verbindet.
Seit Ende der 1970er Jahre dürfte er etwa 20.000 Werke geschaffen haben. Darüber hinaus sind Filme, Malereien, Künstlerbücher sowie Flyer und Plattenhüllen für Punkrockbands und Zines entstanden.
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Sammlung Falckenberg, Hamburg-Harburg | bis 11. September 2016 Museum der Moderne Salzburg, Mönchsberg | 19. November 2016 – 12. Februar 2017
RAYMOND PETTIBON – Homo Americanus
Pressetext: Deichtorhallen, Hamburg Museum der Moderne Salzburg www.museumdermoderne.at Kurator: Ulrich Loock www.raypettibon.com Museum of Modern Art | 323 works online
In den 1980er Jahren sind Pettibons Themen der Verfall der Hippie-Kultur, Mord und Selbstmord in der Drogenszene sowie die Repression der etablierten Gesellschaft. Hinzu kommt die Auseinandersetzung mit Familien-, Rassen- und Geschlechterbeziehungen, Religiosität und dem Krieg in Vietnam.
In den frühen Zeichnungen arbeitet er mit bitteren, präzise gesetzten Pointen. Später tritt die literarische Dimension des Werkes mit Bezügen zur Dichtung des 19. Jahrhunderts in den Vordergrund, bis das Werk schließlich einen neuen Höhepunkt in großformatigen farbigen Zeichnungen findet, in denen er, desillusioniert und wütend, scharfe Kritik an der Politik von George W. Bush und dem amerikanischen Krieg im Irak übt.
Erstmalig unternimmt es eine Ausstellung, Pettibons schier unendliches Werk nach verschiedenen Prinzipien zu strukturieren. Eine Ordnung ist chronologisch, eine andere konzentriert sich auf Motive wie Gumby und Vavoom, Surfer, Baseball und Eisenbahnzüge, die Bibel, das Herz und den Phallus.
KATALOG | Raymond Pettibon.
Homo Americanus: Collected WorksGebundene Ausgabe
688 Seiten
600 Abbildungen
Verlag: David Zwirner
Sprache: Englisch
17.8 x 26 cm
Der Katalog „Homo americanus“ präsentiert mehr als sechshundert Werke aus allen Teilen der Karriere des Künstlers, wobei die meisten davon noch nie gezeigt worden sind. Thematisch in zweiunddreißig Kapiteln angeordnet, definiert dieser einzigartige Katalog Pettibons Werk.
Unterschiedliche Abschnitte werden mit Auszügen aus Interviews mit dem Künstler eingeführt und in einem ausführlichen Anhang von Kurator Ulrich Loock weiter diskutiert.
Dieser Katalog geht erstmals das Gesamtwerk des Künstlers an. Das Buch enthält eine komplette Faksimile seines ersten Künstlerbuches, Captive Chains, das Jahrzehnte für die Öffentlichkeit nicht zugänglich war. Neben zahlreichen frühen Zeichnungen, Plattencovern und Flyern ist ein Bereich den Collagen und Zeichnungen aus den 1980er Jahren bis heute gewidmet.
Weitere Besonderheiten sind die biographischen Notizen, zusammengestellt von Lucas Zwirner, die das intellektuelle und komplexe Verhältnis des Künstlers zu Kunst, Literatur und amerikanischer Gegenwartskultur vertiefen. Diese biographischen Notizen bieten eine nuancierte, aufschlussreiche Lektüre von Pettibons Geschichte.
Der Katalog dient somit auch als Leitfaden durch Pettibons ausuferndes und verschlüsseltes Werk.
Die für die Punkszene charakteristische nihilistische Verachtung ist ein Merkmal von Pettibons frühen Zeichnungen – vor allem seine Verachtung gegenüber dem Idealismus und naiven Optimismus der Hippiekultur der 1960er Jahre. Mit einem pubertären Hang zur Ungezogenheit schwelgte Pettibon in den frühen 1980er Jahren in Sujets wie Nymphomanie, Pederastie, Frauenfeindlichkeit, Sexualität und Gewalt. Der ziemlich vorhersehbare Inhalt der Zeichnungen wird durch die knappen, bitter komischen Texte konterkariert. Auf einer Zeichnung aus dem Jahr 1981, die einen gekreuzigten dickbäuchigen Elvis Presley zeigt, lesen wir so etwa: „Ihr liebt ihn nicht genug.“ Und auf einer 1984 entstandenen Zeichnung einer nackten Axtmörderin finden wir die Zeile: „Vielleicht hat mich der Umstand, dass ich drei ganze Tage lang keinen Sex hatte, verwundbar gemacht.“
Pettibons frühe Zeichnungen entwickeln keine positiven Gestalten und schildern eine von primitiven Leidenschaften, willkürlichen gesellschaftlichen Regeln, Verkommenheit und Amoralität beherrschte Welt. Statt sich dieser Negativität hinzugeben, begann Pettibon jedoch wie besessen deren kulturelle Wurzeln zu katalogisieren.
Während die Punkmusiker nach Anarchie schrien und „No future“ proklamierten, beschäftigte sich Pettibon damit, die Geschichte der dunklen Seite Amerikas zu ergründen und griff dabei auf Detektivromane, Filme über jugendliche Kriminelle aus den 1950er Jahren, Melodramen mit Joan Crawford, die Motorradszene und Boulevardmagazine zurück.
Vinyl LP | Black Flag – Family Man
Ab Mitte der 1980er Jahre zeichnet sich Pettibons Kunst durch eine verfeinerte Zeichensprache, breitere Themenwahl sowie einer lyrischen und rhetorischen Meisterschaft aus. Seine Texte werden literarischer und weitläufiger, seine Themenwahl vielfältiger, die Figuren und Akteure differenzierter. Dabei tauchen diverse Alteregos, wie Vavoom und Gumby auf, beides Figuren aus der TV- und Medienwelt, jugendlich harmlose aber auch zerstörerisch wütende Charaktere.
Die Hefte Raymond Pettibons sind als fortlaufende Narration, über das einzelnene Heft hinaus, zu lesen. In der Serie bieten sie einen Einblick in die Bilder-, Texte- und Geschichtenwelt eines der bedeutendsten Chronisten des heutigen Amerikas. Text basiert auf Michael Duncan: „Pettibon’s Talking Pictures, Art in America“ (March 1999) Pressedaten, MAK Wien.
RAYMOND PETTIBON
Raymond Pettibon (geb. 1957) zählt zu den zeitgenössischen Vertretern eines konzeptuellen Zugangs zum Medium Zeichnung. In den 1980er Jahren war der US-amerikanische Künstler im Kontext der kalifornischen Post-Punk- und Hardcore-Szene aktiv und gestaltete im Selbstverlag publizierte Hefte, Konzertflyer und Plattencover für Bands wie Black Flag oder Minutemen.
Zunächst hauptsächlich einer subkulturellen Öffentlichkeit bekannt, hat Pettibon längst in renommierte Institutionen vom Museum of Contemporary Art in Los Angeles bis hin zum New Yorker Museum of Modern Art Eingang gefunden. Im Jahr 2002 beteiligte er sich an der documenta 11 und 2007 an der Biennale Venedig.
VIDEO | Raymond Pettibon - Artists Talk with Alia Shawkat and Lance Bangs
In seinen meist in Tusche ausgeführten Zeichnungen entwickelt er eine Bildsprache, die eine Fülle an Einflüssen aus der US-amerikanischen Popkultur aufweist. So kombiniert er Comiczitate bzw. -anleihen, Film Noir-Reminiszenzen, kunsthistorische Verweise und assoziativ wirkende Textpassagen zu komplexen Bild-Text-Assemblagen. Mit Stift, Aquarell und Kreide kombiniert, führt Pettibon seine auf Papier oder auf die Wand gezeichneten Arbeiten zu labyrinthischen Installationen zusammen.
Mit einer oft befremdlich lakonischen Drastik erkunden diese Ensembles die dunklen und traumatischen Aspekte, gescheiterten Versprechen und latent bedrohlichen Mythen amerikanischer Politik und (Sub-)Kultur.
Museum der Moderne Salzburg
RAYMOND PETTIBON – Homo Americanus
bis Februar 2017
Öffnungszeiten
Di bis So 10–18 Uhr, Mi 10–20 Uhr
Während der Festspiele: zusätzlich Mo 10–18 UhrEintrittspreise Mönchsberg:
Regulär € 8
Ermäßigt € 6
Familien € 12
Gruppen € 7
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