Félix Vallotton, Am Strand, 1899, Öl auf Karton, 42 x 48 cm, Ausschnitt
Privatsammlung, Kunsthaus Zürich
Vom 5. Juli bis 15. September präsentiert das Kunsthaus Zürich rund 50 Gemälde von Félix Vallotton unter dem Titel «Schöne Zeiten». Mit Werken, die je zur Hälfte aus einer privaten Sammlung und im Depot verbliebenen eigenen Beständen des Kunsthauses stammen, ist dieser temporäre Dialog eine Entdeckung.
Im Jahr 2007/2008 versammelte die Ausstellung «Idylle am Abgrund» viele seiner schönsten und manche seiner skurrilsten Bilder in Zürich und Hamburg. Damals wurden seine Akte in den Vordergrund gestellt. Durch ironische und gesellschaftskritische Themen setzte sich Vallotton von seinen Zeitgenossen ab: Weder scheute er karikierende Anspielungen, noch wahrte er den Schein der bürgerlichen Idylle. Seine Kunst war indiskret .
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KATALOG | Félix Vallotton. Idylle am Abgrund
Leinenband mit Schutzumschlag 192 Seiten, 91 farbige und 10 sw Abbildungen 22 cm x 27 cm
Der reich bebilderte Katalog fokussiert auf Vallottons malerisches Werk aus allen Schaffensphasen und Gattungen.
Die Autoren spüren in Essays und detaillierten Bildbeschreibungen den eigenwilligen Bildfindungen des Künstlers nach und gehen der irritierenden Künstlichkeit auf den Grund, die seine Gemälde prägen.
Der Künstler Félix Vallotton (1865—1925) war ein intelligenter Beobachter seiner Zeit. In Lausanne geboren, studierte er ab 1882 in Paris im Kreis der Künstlergruppe «Nabis», schrieb Theaterstücke und arbeitete als Illustrator für avantgardistische Zeitschriften. Schamvoll und schamlos waren seine Entblössungen, die Maskerade der porträtierten Modelle nicht selten befremdlich.
Bizarre Posen, verschämte Umarmungen, schweigende Interieurs, beredte Schatten – Félix Vallottons Kunst ist von beißendem Sarkasmus und schwarzem Humor durchdrungen und machte ihn zu einem international beachteten Avantgardisten der Moderne. Vallottons Bilder verstören, entblößen, fesseln den Blick — heute wie schon 1909, als zu seiner ersten Einzelausstellung im Kunsthaus Zürich Jugendlichen der Zutritt verwehrt wurde, weil man die Akte als anstößig empfand.
Es ist kein Geheimnis, dass das Kunsthaus Zürich eine sehr bedeutende Sammlung von Gemälden Félix Vallottons besitzt, darunter sind Hauptwerke wie das einst skandalumwitterte «Bain au soir d’été» (1892/93).
Traurige Menschenwesen aus der Sicht des distanzierten Zuschauers
Christian Gampert für DEUTSCHLANDRADIO Kultur | Beitrag lesen
Vor einigen Jahren hat das Kunsthaus in einer großen Rückschau Vallottons Akte in den Vordergrund gestellt, diese großen, vom Leben enttäuschten Frauen, die wie beim Arztbesuch völlig enterotisiert und teilnahmslos dasitzen oder liegen. Zu diesem Thema gibt es hier nur ein einziges Bild und zwei entrückt Patiencen legende Akte.
Im Mittelpunkt steht stattdessen das Skandalwerk von 1892, „Le bain au soir d’été“, eine Badeszene, mit der Vallotton die Damen der Pariser Gesellschaft bis zur Kenntlichkeit karikierte. Die Pariser Haute Volée war nicht amüsiert, zumal Vallotton in dem chinoisen Bild nebenbei Manets „Olympia“ und Figuren aus dem „türkischen Bad“ von Ingres parodierte.
Vallottons Akte und Interieurmotive handeln von Entblößungen und Ehebruch, hinter schweren Gardinen verborgen, umgeben von Nippes und Tand: Vallottons Figuren sind in ein engmaschiges Netz aus Betrug und Bedrängnis eingesponnen. Stilistisch irritieren Vallottons Arbeiten dabei durch ihre Künstlichkeit: Stillleben aus intensiven Farbfeldern, leere Landschaften mit markigen Hell-Dunkel-Kontrasten oder Portraits von eigenwilliger Härte.
Überraschend ist, dass es neben der Kunsthaus-Sammlung, die durch gezielte Ankäufe und Schenkungen heranwuchs, in Schweizer Privatbesitz noch eine zweite, ebenso bedeutende Vallotton-Sammlung gibt. Der Umfang dieses Schatzes ist der Öffentlichkeit bis jetzt verborgen geblieben. Das Sammlerpaar zog es vor, anonym zu bleiben.
LANDSCHAFTEN, INTERIEURS, PORTRÄTS
Warum es reizvoll ist zu zeigen, wie sich die Kollektion des Kunsthauses mit dieser wohl einzigartigen privaten Sammlung ergänzt und bereichert, wird in den historischen Sälen des Moserbaus schnell klar. Wie in einer Retrospektive sind alle Themen der Kunst Vallottons präsent: die flüchtigen Umarmungen einsamer Herzen, menschenleere Landschaften, der diskret getarnte Ehebruch, magisch beleuchtete Strandszenen, verträumte Blicke und entblösste Kartenspielerinnen. Dieser sensible und ironische Beobachter, der die Gesellschaft am Beginn des 20. Jahrhunderts nicht ohne kühle Distanziertheit und subtile Gesellschaftskritik abbildete, erzählt Geschichten, die heute nicht weniger aktuell sind als zu seinen Lebzeiten.
SCHÖNE ZEITEN
Die meisten der ausgestellten Gemälde entstanden zwischen 1895 und 1912. Dies war die produktivste, leichteste und erfolgreichste Zeit Vallottons, nachdem er lange Jahre mit gesundheitlichen und finanziellen Schwierigkeiten gekämpft und sich auf Druckgrafik beschränkt hatte, die ihm das Überleben sicherte. 1899 heiratete er seine langjährige Geliebte, die Witwe Gabrielle Rodrigues-Henriques, die aus vermögendem Haus kam, womit sich seine finanzielle Lage umgehend veränderte. Er war nun ein Teil der Bourgeoisie, die er vorher mit seinen Bildern indirekt kritisiert hatte — in Interieurs, die auf den ersten Blick beschaulich wirken, aber die Doppelmoral dieser Gesellschaft enthüllen. Nun verbrachte er die Sommer an der Küste in Honfleur, in der Nähe von Lausanne oder reiste in Frankreich umher. Dies veränderte seine Malerei, sie wurde sanfter, versöhnlicher, leichter: Die eigene Wohnung mit Gabrielle als Modell, zarte, hübsche Landschaften, Strandszenen — dies sind die schönen Zeiten! Vallotton hatte endlich Erfolg, konnte Gemälde verkaufen. 1907 lernte er die Schweizer Sammlerfamilie Hahnloser kennen, die ihn stark förderte. Viele seiner Bilder erwarb sie selbst oder vermittelte sie an andere Interessenten. Erstmals wurden Vallottons Werk ganze Ausstellungen gewidmet.
Vallottons Werk ist vielfältig und umfasst über 200 Holzschnitte, zahlreiche Zeichnungen, etwa 1700 Gemälde und einige Skulpturen. Zusätzlich verfasste er mehrere Theaterstücke, eine Reihe von Essays und drei Romane, darunter Corbehaut (1920) und La vie meurtrière / Das mörderische Leben (1905) …
ROMAN | Das mörderische Leben
Von Félix Vallotton
Leinen mit Schutzumschlag 260 Seiten 7 sw Abbildungen 12.5 x 20.5 cm
«Das Modell stand auf einem ziemlich hohen Tisch. Um von da herunterzukommen, war eine Hilfe nötig. Ich bemerkte, dass sich das Mädchen danach umsah. Ich war in der Nähe. Einer doch wohl verständlichen Regung folgend, streckte ich ihr die Hand hin. Ihre schönen, sanften Augen dankten mir mit einem bezaubernden Zwinkern, aber aus Unachtsamkeit verfehlte sie die Hand. Ich versuchte, ihr beizuspringen, und verfehlte sie nun meinerseits — kurz, sie stürzte so scheußlich, daß ihr armer nackter Körper voll auf den rotglühenden Ofen aufschlug. Sie stieß einen fürchterlichen Schrei aus…»
Unter den Dichtungen, die der große Graphiker und Maler Félix Vallotton hinterlassen hat, ragt der Roman «Das mörderische Leben» — «La Vie meurtrière» — als ein tiefgründiges Lebensbild hervor; Schuld, Leiden und Liebe eines jungen Mannes zwischen zwei Frauen kommen darin unter schicksalsvollen Fügungen ans Licht. Glück heißt das Ziel, das alle suchen, und auf dieser Suche werden sie das Unglück nicht los – mörderisches Leben.
RUND 50 GEMÄLDE
Für die aktuelle Accrochage hat das Kunsthaus Zürich den Sammler und Hauptleihgeber eingeladen, als Gastkurator die beiden Kollektionen in einen spannungsvollen und unterhaltsamen Dialog zu setzen. Für den Privatmann ist es eine besondere Erfahrung, die Früchte seiner jahrzehntelangen Auseinandersetzung mit Vallotton zum ersten Mal vollständig im Museum zu sehen und eine Herausforderung, mit einem musealen Bestand zu arbeiten. Es ist ein Testfall für beide Sammlungen.
Bewusst wurden nicht nur die kanonischen Hauptwerke, sondern der breitangelegte Überblick gewählt. Aufgrund dessen kommt auch manches Werk aus den Tiefen des Kunsthausdepots ans Licht, das nur selten zu sehen war. Damit wird die Ausstellung zu einer Hommage an eine grosse Museumssammlung — und an die Leidenschaft zweier sympathischer, Kunst sammelnder Menschen, die sich ganz einfach begeistern liessen für einen der aussergewöhnlichsten Künstler am Beginn der Moderne.
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