Die Ausstellung »Francis Bacon. Unsichtbare Räume« widmet sich erstmals einem zentralen Aspekt im Werk von Francis Bacon (1909-1992), der als einer der bedeutendsten modernen Maler Großbritanniens gilt. Sie zeigt, wie Bacons »unsichtbare« Räume die Isolation der dargestellten Figuren betonen und die Aufmerksamkeit auf deren psychologisches Befinden lenken.
Die geniale Bildstrategie des figurativen Ausnahmekünstlers wird anhand von 40 großformatigen Gemälden, darunter vier monumentalen Triptychen, sowie bislang selten gezeigten Papierarbeiten systematisch erkundet.
Die Ausstellung zeigt spektakuläre Leihgaben mit schwindelerregenden Versicherungswerten, u.a. aus dem Museo Thyssen-Bornemisza, dem Museum of Modern Art, New York oder dem Hirshhorn Museum and Sculpture Garden in Washington.
»Francis Bacon. Unsichtbare Räume« ist eine Gemeinschaftsausstellung der Staatsgalerie Stuttgart und der Tate Liverpool.
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Tate, Liverpool | 18. Mai – 18. September 2016
Staatsgalerie Stuttgart | bis 08. Januar 2017
Bacons Gemälde zeichnen sich nicht nur durch ihre expressive Figurendarstellung aus, sondern ebenso durch die charakteristische Konstruktion der Bildräume. Seit den 1930er-Jahren organisiert der Künstler den räumlichen und dramatischen Bildaufbau, indem er seine Sujets mit einem architektonischen, geisterhaft anmutenden Rahmenwerk umgibt.
Bei anderen Arbeiten platziert er seine verletzlichen Figuren vor schwarze Flächen, stellt sie auf Podeste und Gerüste oder exponiert sie in Arenen. Sind es zunächst Bilder, die die Gestalten wie Visionen aus dem Bildgrund hervortreten lassen, wird Bacons Pinselstrich im Laufe der Jahre lebhafter und die Farbgebung leuchtender. Gefangen in diesen Räumen, steht den Figuren kein Fluchtpunkt zur Verfügung, sind sie den indifferenten Käfigen wie dem Bildbetrachter schutzlos ausgeliefert.
Gebundene Ausgabe, Pappband 256 Seiten 150 farbige Abbildungen Verlag: Prestel Sprache: Deutsch / Englisch 23,7 x 3 x 28,4 cm
Francis Bacon wendet sich nach seinem – später von ihm verworfenen – Frühwerk ab Mitte der 1940er-Jahre einer figurativen Malerei von großer Eigenständigkeit zu. Während die Abstraktion ihren weltweiten Siegeszug antritt, nimmt er mit seinem gegenständlichen Ansatz eine Sonderrolle ein und erlangt bald, nicht zuletzt durch die enge Verquickung von exzessivem Leben und künstlerischem Schaffen, große Popularität.
Bacons Mittelweg zwischen Abstraktion und Figuration erweist sich als einflussreich: Er vermeidet jede erzählerische Logik und herkömmliche Bildstruktur zugunsten einer intensiven und dabei doch modernen Malerei, die nach seinen Worten „direkt auf das Nervensystem“ wirken soll.
Grenzsituationen zwischen Leben und Tod, Lust und Schmerz, physischer Präsenz und Auflösung lotet Bacon vor allem über seine aufrüttelnde Figurendarstellung aus. Die Ausstellung geht der Frage nach, mit welchen Mitteln der Künstler die existenzielle Isolation seiner Figuren erreicht, und damit den Betrachter als neugierigen Voyeur entlarvt.
Anhand von 40 Gemälden sowie selten gezeigten Zeichnungen und Atelierdokumenten wird nachvollziehbar, wie Bacon durch besondere Raumkonstruktionen – glasartige Käfige und Rahmen, Gerüste oder Podeste – seine Figuren wie Schaustücke im Museum oder Tiere im Zoo exponiert. Das 1970 entstandene Triptychon »Drei Studien eines männlichen Rückens« zeigt gleich zu Beginn der Ausstellung, wie durch die Vereinzelung der dreifach wiedergegebenen Figur des Geliebten George Dyer in einem „unsichtbaren“, viel zu engen Käfig dessen Verletzlichkeit buchstäblich „ausgestellt“ wird.
Das Werk aus der eigenen Sammlung der Staatsgalerie Stuttgart verdeutlicht, wie die innerbildliche Rahmung formal dazu dient, die Figur optisch zu „verdichten“ und zu isolieren. Das Gemälde »Schimpanse« (1955) zeigt einen gefangenen Menschenaffen, und verleiht dem Käfigmotiv auch eine inhaltliche Dimension. Es kündet von Freiheitsentzug und hilfloser Exponiertheit gegenüber dem (Bild-)Betrachter. Thematisiert wird zudem die für Bacon zentrale Erkenntnis, dass Mensch und Tier sich in ihrem existenziellen Ausgeliefertsein, in ihrer Todesgewissheit (die er auch dem Tier zuspricht) nahe sind.
In den 1960er-Jahren werden die Formen präziser, und der Künstler arbeitet zunehmend mit starken Farbkontrasten. Wichtig wird die Unterscheidung zwischen dem flächig aufgetragenen Bildgrund und der vehementen Malerei der Körper. Zudem verwendet Bacon nun mehrere Raumkonzepte, die der effektvollen Isolation und Zurschaustellung der Figuren dienen und variiert werden können.
In den 1980er-Jahren proklamiert Bacon in einer Gruppe von Gemälden besonders eindringlich die „Hervorhebung“ des Motivs, indem er plastisch aufgefasste Torsi (Körperfragmente) mit teils detailgenau gemalten Geschlechtsteilen auf sockelartigen Stellagen, in transparenten Gehäusen oder vor rahmenden Wandstücken präsentiert. Die Direktheit des sexuellen Gehalts einiger dieser Arbeiten schockiert – auch wenn der Künstler immer betonte, dass es ihm nicht um das Schockieren des Betrachters gehe. Die Verbindung des provokanten Torso-Sujets mit der Biografie des homosexuellen Künstlers wird mehr als explizit.
Die 13 Skizzen aus der TATE, die Figuren in unterschiedlichen Positionen und Variationen der Umrahmung zeigen, belegen, dass Bacon – entgegen seiner eigenen Aussage – sehr wohl auf dem Papier experimentiert. Gerade die konzentrierten Papierarbeiten bekunden Bacons intensives Ringen um ein Bild, das die Beziehungen zwischen Figur, Raum und Betrachter neu verhandeln will.
Am Ende der Ausstellung ist ein ebenso aufschlussreiches wie unterhaltsames Gespräch Francis Bacons mit dem Fernseh- und Rundfunkmoderator Melvyn Bragg zu sehen, das im Jahr 1985 für die Londoner Kultursendung »The South Bank Show« aufgezeichnet wurde. Es geht nicht zuletzt um die Gewalttätigkeit des Lebens in Bacons Werken: „Wenn wir deine Bilder anschauen, dann sehen wir also die reale Welt vor uns?“ lautet eine Frage, die Bacon bejaht.
VIDEO | „Figuren des Exzesses: Francis Bacon“ Produktion: Centre Pompidou, ARTE 1996, Reihe „Palettes“, Regie: Alain Jaubert Aufnahme: ARTE 31.07.2010
Nach Bacons Tod im Jahr 1992 findet man in seinem Atelier in den Reece Mews 7 im Londoner Stadtteil South Kensington einen großen Fundus an Quellenmaterial und Arbeitsdokumenten. Dieses Material wurde gleichsam archäologisch erschlossen und in die Dublin City Gallery The Hugh Lane verbracht, wo es heute besichtigt werden kann: unvollendete Gemälde, von Bacon übermalte Broschüren, Notizen in Buchdeckeln und unzählige zerknitterte, farbbespritzte Fotos.
Die Motive in Bacons Gemälden basieren häufig auf Fotografien – etwa auf Aufnahmen von Freunden wie Isabel Rawsthorne oder seinem zeitweiligen Lebensgefährten George Dyer, aber auch auf packenden Tier- und Sportdarstellungen, die Bacon in illustrierten Büchern findet. Bacon reizt das Foto, weil dieses den Betrachter sehr direkt anzusprechen vermag.
Gleichwohl erachtet er die Malerei als alternativlos für seine Zwecke, da diese ihre Inhalte durch spezifische Manipulationen, zu denen nicht zuletzt Bacons „unsichtbare Räume“ gehören, noch intensiver artikulieren könne.
Bacon gibt wiederholt an, er habe keine Entwürfe angefertigt, sondern seine Arbeit stets direkt auf der Leinwand begonnen. Die 13 Skizzen aus der Tate, die Figuren in unterschiedlichen Positionen und Variationen der Umrahmung zeigen, belegen jedoch, dass Bacon sehr wohl auf dem Papier experimentiert.
Wie bei dem Porträt von Ad Reinhardt, das Bacon in einem Buch entdeckt und durch zwei bogenförmige Linien einrahmt, greift er auch in bestehende Bildkonstruktionen ein und setzt diese in seinem Sinne fort. Gerade die konzentrierten Papierarbeiten bekunden Bacons intensives Ringen um ein Bild, das die Beziehungen zwischen Figur, Raum und Betrachter neu verhandeln will.
PRESSESCHAU
Figuren isolieren, verdichten, emporheben
Von Christian Gampert für Deutschlandfunk | Artikel lesen
Die Francis Bacon-Ausstellung „Unsichtbare Räume“ in der Staatsgalerie Stuttgart spürt diesen architektonischen Strukturen im Schaffen des Künstlers nach. Neben den Käfigen, die in seinen Gemälden immer wiederkehren, beleuchtet die Ausstellung auch das Kruzifix als architektonische Körperstruktur.
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