Hamburger Kunsthalle | Erstmalig ist in Hamburg mit Magische Wirklichkeit eine Ausstellung zu dem italienischen Künstler Giorgio de Chirico (1888–1978) zu sehen, der als Begründer der Pittura Metafisica zu einem der wichtigsten Vorläufer des Surrealismus und der Neuen Sachlichkeit wurde.
Im Zentrum der groß angelegten Schau steht mit der metaphysischen Malerei die bedeutendste Werkgruppe, die de Chirico schuf. Die zwischen 1909 und 1919 geschaffenen, ikonischen Bilder von sonnendurchfluteten, leeren Plätzen, in denen die Zeit still zu stehen und das scheinbar Alltägliche mit einer neuen Bedeutung aufgeladen scheint, wirken heute besonders eindringlich und aktuell.
Vor dem Hintergrund ihres herausragenden Bestands an Werken deutscher Spätromantik kann die Hamburger Kunsthalle spezifisch die frappierenden Einflüsse von Arnold Böcklin und von Max Klinger auf de Chirico darlegen.
Insgesamt sind über 80 Meisterwerke von de Chirico, sowie von Arnold Böcklin, Max Klinger, Carlo Carrà, Giorgio Morandi, Alberto Magnelli, Alexander Archipenko und anderen zu entdecken. Zusammengetragen wird eine bislang ungesehene Dichte und Qualität an teils kaum gereisten Leihgaben aus bedeutenden internationalen Museen, darunter das Museum of Modern Art, das Metropolitan Museum of Art und die Pierre and Tana Matisse Foundation in New York, das Art Institute of Chicago, das Chrysler Museum of Art in Norfolk, Virginia, das Philadelphia Museum of Art, die Peggy Guggenheim Collection in Venedig und die Tate Gallery London sowie aus hochkarätigen Privatsammlungen weltweit, ergänzt um ausgewählte Exponate der Sammlung der Hamburger Kunsthalle.
Gebundene Ausgabe 232 Seiten 186 Abbildungen in Farbe Herausgeber : Hirmer Sprache: : Deutsch 19.69 x 2.54 x 28.58 cm
Reich illustrierter Katalog, der zahlreiche Essays von international renommierten Experten:innen beinhaltet. Er legt neueste Forschungsergebnisse zu Chiricos Lebensumständen vor, die zur Entwicklung der Metaphysischen Malerei wie zu den Einflüssen der deutschen Spätromantik und Philosophie führten.
Die Bildwelten der sogenannten Metaphysischen Malerei entführen in diesem reich illustrierten und handlichen Buch in übersinnliche Sphären jenseits des Greifbaren. Zentrale Gestalt ist dabei Giorgio de Chirico, der von deutschen Philosophen wie Nietzsche und Künstlern der Spätromantik wie Böcklin und Klinger sowie der Pariser Avantgarde mit Picasso beeinflusst ist. In der Folge entstehen auch von seinen Künstlerkollegen Carlo Carrà und Giorgio Morandi traumgleiche Szenarien, deren virtueller Charakter heute besonders beeindruckt.
In der einzigartigen Verbindung verschiedenster europäischer Einflüsse und im Angesicht des Ersten Weltkriegs wie der Pandemie der Spanischen Grippe sucht de Chirico mit seinen geheimnisvollen, realistisch-präzise präsentierten Möglichkeitswelten Unsichtbares sichtbar zu machen. Er lässt eine andere Welt jenseits des Scheins erahnen.
Ihre intensive Stimmung wird erschaffen durch überscharf gezeichnete, kulissenartige Objekte und Menschen, die wie Puppen in perspektivisch übersteigerten, traumhaft mediterran wirkenden, nur mit Sonnenschein und bodenlosen Schatten gefüllten Räumen agieren. Brunnen oder große Uhren verweisen auf die ewige Wiederkehr des Gleichen und hinterfragen das Konzept der Zeit wie des Raumes.
De Chiricos Bildsprache entlarvt die Doppeldeutigkeit der Zeichen. Sie zeigt das Scheinbare unserer Realität auf. Diese Vieldeutigkeit, die Virtuosität und die vorweggenommene Virtualität beeindrucken heute besonders, zumal sich die Raum-, Zeit- und Bilderfahrungen von menschenleeren, unheimlich wirkenden Plätzen 2020 durch die weltweiten Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen aktualisiert haben. So können die 100-jährigen Meisterwerke heutigen Betrachter*innen auch als Spiegel dienen, um die Erfahrungen mit der eigenen aktuellen – äußeren wie inneren – Wirklichkeit zu reflektieren.
VIDEO | „Das Portrait: Giorgio de Chirico“ NDR 1971 von Peter D. Malchus
De Chirico erforschte in seinen Gemälden die Frage nach dem Sichtbaren. Er glaubte, der Geist und das Geheimnis der Welt, welche die alten Zivilisationen in Mythen zum Ausdruck brachten, seien nicht in einem unsichtbaren Jenseits, sondern in der greifbaren und materiellen Welt zu finden. Dabei hatte das Denken des deutschen Philosophen Friedrich Nietzsche (1844–1900) einen tiefen Einfluss auf ihn. Dessen Ideen zur ewigen Wiederkehr des Gleichen, zur Stimmung – die de Chirico als »Atmosphäre im geistigen Sinne« beschreibt – ebenso wie zur Unbeständigkeit aller Werte regten den Maler zu seinen Motiven und Kompositionen an. Wirken die Dinge und ihre Anordnung in seiner neuartigen Kunst scheinbar überdeutlich und einfach lesbar, zeigt er sie darin zugleich in ihren potentiellen Bedeutungen und mit den durch sie ausgelösten Assoziationen.
Wie weitreichend diese Bilder der Erinnerung, Intuition und Vorahnung bis heute wirken können, vermutete schon der Kopf der surrealistischen Bewegung, André Breton (1896–1966): Man kann sagen, dass de Chiricos Gemälde vor 1918 […] einzigartiges Prestige genießen und sie mit ihrer Gabe, die am wenigsten konformistischen, untereinander höchst uneinigen Geister um sich zu versammeln, nach wie vor enormen Einfluss haben und erst am Anfang ihrer Karriere stehen.
André Breton, 1941
Ikonisch sind Giorgio de Chiricos Bilder von leeren, sonnenbeschienenen Plätzen mit langen Schatten geworden, die so verführerisch weit und zugleich instabil und versperrt wirken. Er hat damit vor über 100 Jahren die Wirkung von Leere sichtbar gemacht. Zu eben solchen widersprüchlich wirkenden, leeren Plätzen, die sonst im urbanen Alltag kaum vorkommen, fanden sich 2020 erstaunliche Entsprechungen in neuen realen Raumerfahrungen und unzähligen medial vermittelten Bildern: Die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie Covid-19 zwangen seit März 2020 Menschen auf der ganzen Welt zu massiven Einschränkungen in ihrer Bewegungs- und Versammlungsfreiheit. So haben Sie ebenso schöne wie beunruhigende Fotos der Leere während dieser Zeit aufgenommen und können diese noch bis zum 10. April 2021 an die Kunsthalle senden: [email protected]. Eine Auswahl wird auf der Website der Hamburger Kunsthalle veröffentlicht.
GRIECHENLAND – DIE POLITISCHE UND KULTURELLE IDENTITÄT
Auf einem leeren »Turiner« Platz zeigt de Chirico eine Skulptur Ariadnes, der Tochter des Königs von Kreta. Sie hat gemäß der griechischen Mythologie dem athenischen Königssohn Theseus durch einen Faden geholfen, dem Labyrinth des Minotaurus zu entkommen und erwartet hier (halb) schlafend Dionysos.
De Chirico bezieht sich auf Nietzsches Verständnis des Mythos als Metapher für Erkenntnis und künstlerisches Schaffen: Ariadne ist die weibliche Seele, welche durch die Hochzeit mit Dionysos den Körper erfährt und der Menschheit einen zweiten Faden reicht. Dieser leitet die Menschen zurück in ein Labyrinth, in dem Seele und Körper, Mann und Frau, Vernunft und Unbewusstes verschmelzen und sich so tiefste Wahrheiten enthüllen.
Hier führt de Chirico den Gedanken in die metaphysische Ästhetik ein, dass jedes Werk aus der Vereinigung vermeintlich weiblicher und männlicher Elemente hervorgehe. Diese können durch Statuen aber auch Arkaden beziehungsweise Türme, Schornsteine oder Kanonen symbolisiert werden.
Die Inszenierung der kretischen Prinzessin vor dampfenden Zügen ist zudem als Würdigung der frühen griechischen Wahlheimat seiner Familie zu verstehen und bezieht sich auch auf die Modernisierungsprogramme der dortigen Liberalen, denen sein Vater als Eisenbahningenieur nahestand.
Die Metaphysik der Dinge
EINE WELT JENSEITS VON SINN UND LOGIK
In Ferrara erfolgt ab 1915 ein radikaler Wechsel von Themen und Ikonographie im Werk Giorgio de Chiricos. Er flüchtet vor den Grauen des Krieges in den materiellen Mikrokosmos des Alltäglichen. Themen wie Sehnsucht und Melancholie verlieren die unendliche Dimension. Mit scheinbar klinisch kaltem Blick analysiert er die belebte und die unbelebte Materie und findet auch hier – in einer »Metaphysik der gewöhnlichen Dinge« – eine Welt jenseits von Logik und Sinn.
Verkürzte Perspektiven verdichten die Gemälde und Zeichnungen. Geographische Karten, Bilderrahmen, Abzeichen und Signalflaggen sowie typisches Gebäck aus Ferrara werden angehäuft. Deutlich wird dabei nicht nur de Chiricos bereits seit der Pariser Zeit (1911–1915) bestehende Vorliebe für die Kombination nicht zusammengehöriger Dinge. Die Zusammenführung von Requisiten der zivilen und militärischen Welt auf engstem Raum zeigt zudem seinen Wunsch nach Sicherheit geschlossener Räume und nach innerer Ordnung und Sammlung.
Während der Jahre in Ferrara (1915–1918) malt Giorgio de Chirico immer wieder Bilder im Bild. Sie erscheinen inmitten metaphysischer Interieurs, die von schwindelerregenden Perspektiven, angehäuften Winkelmaßen, Vermessungswerkzeugen und Leisten geprägt sind. In den gerahmten Bildern inszeniert er zunächst Alltagsobjekte wie Gebäck oder Landkarten.
Ab 1916 integriert er realistische Darstellungen von Landschaften oder Gebäuden, die sich in seinem direkten Umfeld befinden. So zeigt Metaphysisches Interieur mit großer Fabrik (1916) die Ansicht einer nahe gelegenen Fabrik, welche de Chirico einer Postkarte entnahm. Diese geometrischen Kompositionen fordern unsere Wahrnehmung und Unterscheidung von Innen- und Außenräumen heraus.
Die Ausstellung wird am Donnerstag, dem 21. Januar 2021 um 19 Uhr digital per Live Stream eröffnet.
VIDEO – LIVESTREAM
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