Ferdinand Kriwet | U-Bahn, New York, 1969 [Kriwet-Box: Cover]
Im Frühjahr 2011 widmet die Kunsthalle Düsseldorf dem Gesamtwerk des gebürtigen Düsseldorfers Ferdinand Kriwet (geb. 1942) als weltweit erste Institution bis zum 01.05.2011 eine umfassende retrospektiv angelegte Schau. Ferdinand Kriwet ist ein Pionier der Medienkunst.
Seiner Zeit voraus, beschäftigte er sich bereits in den 1960er Jahren in Ausstellungen, Bühnenauftritten und Hörspielen mit unseren von der Reizüberflutung der Massenmedien beeinflussten Sehgewohnheiten und analysierte die Sprache von Fernsehen, Werbung und Fotografie.
Analog zur Bildenden Kunst, die sich seit den 1950er Jahren mehr und mehr von den traditionellen Disziplinen wie Skulptur und Malerei löste, wurde in der Nachkriegszeit auch in der Literatur nach neuen, zeitgemäßen Ausdruckformen gesucht. Kriwet, dessen Wurzeln in der konkreten Poesie liegen, beschreibt sich selbst als visuellen Poet. Sein Interesse gilt der Sprache, die für ihn nicht nur Wort, sondern auch Bild ist.
288 Seiten, mit 196 farbigen Abbildungen und 140 s/w Abbildungen H 29 x B 22,5 Hardcover
Begleitend zur Ausstellung erscheint erstmalig eine umfassende Publikation mit zahlreichen Farbabbildungen. Texte: Einleitung von Gregor Jansen; Kurzessays u. a. von Sven Beckstette, Konrad Boehmer, Marc Matter, Franz Mon, Werner Ruhnau, Klaus Schöning, Christoph B. Schulz und Jan Wenzel sowie ein Interview von Helga Meister mit Ferdinand Kriwet.
Ferdinand Kriwet (*1942) veröffentlichte bereits im Alter von 19 Jahren ›ROTOR‹, seine erste Publikation im DuMont Buchverlag. Sein Werk umfasst Malerei, Musik, Texte, Poesie und Mixedmedia. Er lebt in Dresden.
Bereits im Alter von 19 Jahren veröffentlichte er ROTOR, seine erste Publikation im Kölner DuMont Verlag. Mit der in den frühen 1960er Jahren entstandenen Werkgruppe „Rundscheiben“, entwarf er Texte ohne Anfang und Ende mit mehrdeutigem und unbestimmtem Inhalt, die keine Leserichtung vorgeben und den Betrachter selbst zur Bedeutungsproduktion auffordern.
In den Folgejahren eroberten seine Neonschriften, Wandbemalungen und Leitsysteme den öffentlichen Raum. Er produzierte etliche Rundfunkbeiträge und gestaltete Kunst-am-Bau-Projekte, wie beispielsweise das Wappen für den Landtag in Nordrhein-Westfalen oder eine Licht-Text-Säule für ein Essener Postamt, bevor er sich Ende der Achtziger Jahre allmählich aus dem Kunstbetrieb zurückzog.
In seiner Heimatstadt Düsseldorf war der Künstler zuletzt 1975 mit einer Ausstellung im Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen und im Rahmen des legendären Aktionsraums Creamcheese präsent. Gut 35 Jahre später zeigt die retrospektiv angelegte Schau in der Kunsthalle Düsseldorf erstmalig einen umfassenden Überblick über Kriwets vielschichtiges Œuvre. Neben den ersten Rundscheiben und Poem Paintings werden die Hör- und Sprechtexte, Publikationen, Film- und Fernsehbeiträge, Neonarbeiten und Mixed-Media-Installationen vorgestellt sowie neue und eigens für die Schau konzipierte Arbeiten gezeigt.
Damit präsentiert die Kunsthalle Düsseldorf das Werk eines Künstlers, der sich bereits zu Beginn der Massenmedialisierung unserer Gesellschaft mit der Bedeutung von Medienkompetenz auseinandersetzte und dessen Arbeiten heute, im Zeitalter des Internets, aktueller sind denn je.
Der Sprachmonteur
Jochen L. Stöckmann für DEUTSCHLANDRADIO Kultur | Beitrag lesen
„… Buchstabengestöber der Großstadt, etwa die Plakatwerbung, liefert Rohstoff für seine Experimente. Franz Mon, Nestor der Konkreten Poesie und Förderer des jungen Künstlertalents, schärft ihm ein: „Es gibt nichts sichtbares, was nicht auch lesbar wäre.“ Kriwet hält sich daran, lässt mit typografischem Geschick die Lettern tanzen, tippt auf der DIN-A3-Schreibmaschine wie aus dem Unbewussten heraus endlos lange „Leseblätter“, verfremdet Slogans zum kreisrunden „Scheibentext“. Ganze Museumswände sind damit bedeckt: ein Panorama aus Alltagsfragmenten und Realitätspartikeln, komponiert nach dem Muster von Kriwets Radioarbeiten.“
Ferdinand Kriwet beschrieb 1969 wenige Wochen vor der Realisierung seines Hörtextes Apollo Amerika sein Projekt:
„Zwischen dem 10. Juli und 10. August werde ich in Amerika sein. Und es begibt sich zu dieser Zeit (voraussichtlich), daß die amerikanischen Astronauten Edwin Aldrin, Neil Armstrong und Michael Collins als die ersten Menschen der uns bekannten Menschheitsgeschichte mit dem Raumschiff APOLLO 11 den Mond umkreisen und mit dem Lunar Module, der Mondlandefähre oder ‚Spinne‘, auf ihm landen und von ihm wieder zur good earth zurückkehren werden.
Thema meines sechsten Hörtextes Apollo Amerika ist die Wahrnehmung all dessen, was ich im Radio, Fernsehen oder sonstwie vermittels technischer oder menschlicher Information von oder über das Projekt APOLLO 11 höre.“
„Hörtexte“ nannte der heute in Dresden lebende Künstler seine akustischen Collagen, in denen er die Sprache der Massenmedien zu einer „poetischen Analyse“ verdichtete. Mit Akribie und Eifer sammelte er Ausschnitte aus Radio- und Fernsehsendungen, sezierte und montierte sie zu mehrstimmig-rhythmischen Kompositionen.
Kriwet war kein Hasardeur, der auf Zufälle wartete. Für das Stück „Apollo Amerika“ mietete er 1969 in New York zur Mondlandung ein Hotelzimmer und Radio- und Fernsehgeräte, um sich dort für die drohende Epiphanie der Menschheit zu wappnen.
APOLLOVISION (1969)
… wo deutlich wird, wie die US-amerikanischen Medien die Mondlandung zu einem religiösen Ereignis umdeuten. Mit biblischer Rhetorik wird Raumfahrt zu einem spirituellen und patriotischen Unterfangen, während die Radiostimmen den Mythos vom auserwählten Volk beschwören. Gottgleich dröhnt Armstrongs Stimme aus dem All. „Apollo Amerika“ ist, der Distanz des Künstlers zum Trotz, ein Stück Ideologiekritik.
Kriwet schuf APOLLOVISION zur Zeit der Apollo-Mission in den USA und benutzte für seine Arbeit Informationen und Materialien aus Radio, Fernsehen und Zeitungen, die über das Spektakel berichteten. Er selbst beschreibt diese Filme als „Bild-Ton-Collage“, produzierte aber gleichzeitig Konkrete Poesie, Hörspiele und Geräusch- und Klangkunst.
Kriwets Arbeiten beschreiben den Versuch eine Vorstellung von der allgegenwärtigen Geräuschkulisse zu vermitteln, die uns auf Kurz-, Mittel- oder Langwelle begleitet. Sein Ansatz politisch engagierter Avantgarde-Kunst wurde beeinflusst von künstlerischen und konzeptuellen Strömungen vom Konstruktivismus über Neue Musik und Beat Generation bis zum Pop.
Apollo Amerika zählt heute zu einem herausragenden künstlerischen Dokument dieses spektakulären Ereignisses in der Geschichte der Menschheit.
AUDIO | Apollo America | 1969
Realisation: Ferdinand Kriwet Produktion: Studio Akustische Kunst WDR Köln/SWF/BR 1969 Redaktion: Klaus Schöning 21 min
Das Klangmaterial für seine Hörtexte entstammt hauptsächlich Hörfunk und Fernsehen, einem Sound-Pool, der uns auf allen Wellen ständig umgibt. Organisiert nach semantischen und musikalisch-rhythmischen Gesichtspunkten, fügen sich die Medienzitate zu eindrucksvollen auditiven Collagen. Seine frühen Hörstücke verarbeiten die massenmedialen Repräsentationen der ersten bemannten Mondlandung (1969) und der amerikanischen Präsidentschaftswahlen 1973, Fragmente aus Sportreportagen und weiteres Sprach – und Klangmaterial aus dem Rundfunk.
Für seine vielfältigen Aktivitäten wurde Kriwet mit internationalen Preisen ausgezeichnet. Mit Voice of America, Apollo America, Campaign, Ball, Radioball und Radio wurden 2007 sechs seiner frühen Hörfunkarbeiten erstmals auf Tonträger veröffentlicht.
3LP Picture Discs | Ferdinand Kriwet. Hörtexte
Sechs Hörtexte von Ferdinand Kriwet (*1942) in einer edel gestalteten 3-LP-Picture-Disc-Luxus-Box
Mit „Voice of America“, „Apollo America“, „Campaign“, „Ball“, „Radioball“ (Karl-Sczuka-Preis 1975) und „Radio“ werden hier sechs seiner legendärer Radioarbeiten erstmals auf Tonträger veröffentlicht.
Das Klangmaterial für seine „Hörtexte“ entstammt hauptsächlich Rundfunk und Fernsehen, einem Sound-Pool, der uns auf allen Wellen ständig umgibt. Organisiert nach semantischen und musikalisch-rhythmischen Gesichtspunkten, fügen sich die Medienzitate zu eindrucksvollen auditiven Collagen. Die hier präsentierten Hörstücke verarbeiten die massenmedialen Repräsentationen der ersten bemannten Mondlandung (1969) und der amerikanischen Präsidentschaftswahlen 1973, Fragmente aus Sportreportagen und weiteres Sprach- und Klangmaterial aus dem Rundfunk.
2 Vinyl LP | Ferdinand Kriwet. Hörtexte Zwei
PictureDisc 1 A+B 30:00 min PictureDisc 2 A+B 38:02 min Tracklist: Offen, Hörtext I, Rotoradio.
From Concrete Poetry: A World View Aus der Konkreten Poesie: Ein Weltbild
Mary Ellen Solt (1968, Indiana University Press)
Auch Ferdinand Kriwet, der die konventionelle Verwendung von Wörtern in Büchern für die Poesie unserer Zeit als unangemessen empfand, hat ein Konzept der visuellen Form entwickelt, das sich als vielfältig manifestiert: POEM-GEMÄLDE ; PUBLIT (ÖFFENTLICHE LITERATUR) und SEHTEXTE (VISUELLE TEXTE). Obwohl er beabsichtigt, sein PUBLIT in Galerien wie Gemälde zu betrachten, sieht sich Kriwet nicht als Maler, sondern als Schriftsteller, der die Sprache sowohl „nach ihrem Bildwert“ als auch nach ihrem „Wortwert“ betrachtet. Er versucht, unsere „Erfahrungen aus der öffentlichen Beschriftung für literarische Zwecke zu nutzen“. Wie Mon hofft er, dass der Text „sofort“ („zufällig“) als Ganzes wahrgenommen werden kann; und dass „er, zumindest auf den ersten Blick, Zeichencharakter hat, wie alle öffentlichen Texte auf Tafeln, Hausfassaden, Plakatwänden, Schildern, Lastwagen, auf Straßen und Pisten usw.“, die „an ihren ideographischen Ursprung, ihren Status vor der Schaffung der Phonetik erinnern“.
Indem er das PUBLIT aus dem Buch, das für das Auge des einsamen Lesers bestimmt ist, auf die Galerie verlagert, wo es von einer Gruppe von Lesern gleichzeitig „gelesen“ werden kann, will Kriwet nicht implizieren, dass die Buchpräsentation von Gedichten völlig unmodern ist. Ganz im Gegenteil: „Das Zeitalter des Buches ist noch nicht gekommen.“ Die „Flucht der Literatur aus dem Buch vor dem Publikum“ mache uns lediglich die Tatsache deutlich, dass das Buch eine besondere Art von Gebrauchsgegenstand ist und „Literatur in Buchform nur dann als bedeutsam definiert, wenn sie speziell dafür komponiert ist“.
In der SEHTEXTE ist der semantische Inhalt weniger stark ausgeprägt als im PUBLIT, aber Kriwet glaubt, dass es „unmöglich ist, die Semantik vollständig zu eliminieren“. Sie tritt „in das kleinste sprachliche Partikel oder Rudiment auf dem Hintergrund von Erfahrung und Wissen über Schrift und Sprache“ ein, so Kriwet. Oft sei es möglich, ganze Wörter innerhalb der komplizierten Strukturen der SEHTEXTE zu erkennen: das Wort „Mensch“ zum Beispiel in der von uns vorgestellten SEHTEXTE. Aber ihre primäre Absicht ist es, „die Möglichkeiten der Schrift im weitesten Sinne produktiv und nicht nur reproduktiv zu nutzen … um neue Erfahrungen in der Sprache anzuregen und das Bewusstsein der Wirklichkeit, soweit sie sich als Gedankenstrom in der Sprache manifestiert, zu vermitteln und zu erweitern“.
Auf „den ersten Blick“ haben die SEHTEXTE „Zeichencharakter“. Ihre Form ist „offen; ihr Anfang und ihr Ende sind beide fiktiv“. Ihre Entwicklung ist „nirgends eindeutig“, so dass die „Lesetätigkeit“ des Betrachters „den Text jeweils neu ergänzen und ihn somit immer offen lassen muss“. Das Lesen wird analog zur „selbständigen“ Aufführung eines zeitgenössischen Musikstücks, denn der „Prozess des Lesens“ ist von gleicher Bedeutung wie „das Gelesene“, das „nicht mehr ausschließlich wesentlich“ wird.
Kriwet glaubt, dass „nur diejenigen die fehlende ‚Bedeutung‘ verspotten werden, für die die literarische Kunst keinen anderen Nutzen hat, als der Aussage ein nicht-sprachliches Interesse hinzuzufügen“. Trotz ihrer Abweichungen von der literarischen Konvention, so argumentiert er, bleiben die SEHTEXTE innerhalb des Territoriums der Poesie, weil ihr Gebiet und ihre Kommunikationsmedien grundsätzlich sprachlich sind, auch wenn sie „die anerkennende Entschlüsselung komplizierter Feinstrukturen“ erfordern.
Ferdinand Kriwet. Hörtexte, Sehtexte
begann seine Radioarbeit 1961 mit dem Sprechtext Offen. Es folgten Sehtexte, die das traditionelle Medium Buch verließen und in Ausstellungen und auf Plakatwänden veröffentlicht wurden. Parallel dazu entwickelte Kriwet theoretische Manifestationen zur akustischen Literatur, die die Grundlage für seine Radioarbeiten wurden. Bild und Ton hat er in „Textfilmen“ komponiert für Mixed-Media-Shows in Kunsthallen, Kirchen und Kinos.
Für seine vielfältigen Aktivitäten wurde er mit internationalen Preisen ausgezeichnet. Seine zumeist auf Medienzitaten aufbauenden „Hörtexte“ werden nach musikalisch-rhythmischen Strukturen komponiert. Über zehn seiner Hörcollagen entstanden in Zusammenarbeit mit dem Studio Akustische Kunst, u.a. One Two Two, Voice of America, Apollo America, Campaign, Modell Fortuna, Ball, Radioball (Karl-Sczuka-Preis) und Radio (Premio Ondas).
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