Max Beckmann (1884–1950) war fasziniert von der Welt des Theaters, Zirkus’ und Varietés als metaphorischer Schauplatz der menschlichen Beziehungen und des Weltgeschehens. In seinem Œuvre finden sich zahlreiche Gemälde, Druckgraphiken, Zeichnungen und Skulpturen, die sich unmittelbar auf diesen Themenbereich beziehen und seine Idee von der Welt als Bühne vermitteln.
Die Ausstellung macht erstmals Beckmanns Welttheater visuell und ideengeschichtlich greifbar und führt vor Augen, wie der Maler und Autor von zwei bisher kaum beachteten Dramen sich selbst als „Theaterdirektor, Regisseur und Kulissenschieber“ verstand.
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Ausgangspunkt sind die reichen Bestände der Kunsthalle Bremen, die mit ihren Gemälden und dem fast vollständigen druckgraphischen Œuvre des Künstlers eine der größten Beckmann-Sammlungen Deutschlands besitzt. Diese wird ergänzt durch Leihgaben aus bedeutenden deutschen und internationalen Museen und Privatsammlungen.
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Kunsthalle Bremen | bis 04. Februar 2018
Museum Barberini, Potsdam | 23. Februar bis 10. Juni 2018
Max Beckmann. Welt-Theater
Pressetext: Kunsthalle Bremen | kunsthalle-bremen.de Kuratorinnen:
Eva Fischer-Hausdorf, Kunsthalle Bremen
Ortrud Westheider, Museum Barberini, Potsdam
Co-Kuratorin: Verena Borgmann, Kunsthalle Bremen
KATALOG | Max Beckmann. Welt-Theater. Das graphische Werk 1901-1946
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 224 Seiten, 200 farbige Abbildungen, Prestel Verlag, Sprache: Deutsch, 24,7 x 3 x 30,7 cm
Viele Gemälde Max Beckmanns (1884–1950) zeigen die Welt des Theaters, Zirkus und Varietés. Im Rollenspiel sah er ein Modell menschlicher Grunderfahrungen. Er nahm die Position des Zuschauers ein und inszenierte das Bild als Bühne. Das Zurschaustellen trieb ihn an.
Die Publikation macht erstmals Beckmanns Welttheater visuell und ideengeschichtlich greifbar und führt vor Augen, wie der Maler und Autor von zwei bisher kaum beachteten Dramen sich selbst als „Theaterdirektor, Regisseur und Kulissenschieber“ verstand.
Varieté- und Jahrmarktszenen, Akrobaten, Clowns und Schauspieler sind stetig wiederkehrende Motive in Max Beckmanns Werk von den frühen 1920er Jahren bis zu seinem Lebensende im Jahr 1950. Sie sind Ausdruck seiner Leidenschaft für alle Facetten des zeitgenössischen Bühnenlebens.
So pflegte Beckmann persönliche Beziehungen zu Schauspielern wie Heinrich George (u.a. bekannt aus Fritz Langs Film „Metropolis“) porträtierte diese in eindrücklichen Bildnissen. Zu seinem umfangreichen Bildrepertoire aus dem Themenkreis der Bühnenwelt gehören neben Schauspielerporträts vor allem auch Szenen vom Geschehen hinter der Kulisse und auf der Bühne. Seine Darstellungen von Artistiknummern reichen von Seiltänzern und Kunststücken auf dem Trapez bis zu Tieren im Zirkus.
Gerne besuchte Beckmann auch Maskenbälle und schlüpfte dafür in unterschiedliche Verkleidungen. Dabei lag ihm die Rolle des Clowns besonders nahe, wie seine zahlreichen Selbstbildnisse im Clownskostüm belegen. Der beobachtende und die Gesellschaft kritisch kommentierende Pierrot oder Harlekin galt Beckmann, wie schon vielen seiner Malerkollegen von Watteau über Goya bis Picasso, als besonders geeignete Identifikationsfigur. Beckmann fühlte sich den Menschen zudem als Berichterstatter verpflichtet, der gesellschaftliche Gegensätze aufzeigen wollte. So sind seine Werke rund um das „Welttheater“ auch als politischer Kommentar auf seine Zeit zu lesen.
Welttheater: Die Idee von der Welt als Bühne Es war Stephan Lackner, Journalist und Vertrauter des Malers, der die Bildsprache Beckmanns erstmals 1938 mit dem Begriff des Welttheaters verband und das anhaltende Interesse des Künstlers an dem Themenkreis der Bühnenwelt damit auf eine philosophische Ebene hob. Die bereits in der Antike aufgekommene Idee vom Welttheater ist noch heute im alltäglichen Sprachgebrauch lebendig. Sie beschreibt die Welt als eine Bühne, auf der sich alles menschliche Handeln als Schauspiel zeigt. Lackner verwendete den Welttheater-Begriff in einer Phase der umfassenden Verunsicherung und Bedrohung der deutschen Kulturszene, die nicht nur ihn selbst, sondern auch den Künstlerfreund Beckmann, der ein Jahr zuvor ins Exil gegangen war, unmittelbar betraf.
Stephan Lackner erklärte 1938 in einem Begleittext zur Londoner Ausstellung „Twentieth Century German Art“ die Bilder Beckmanns erstmals anhand der Welttheater-Idee. Die Ausstellung war unter dem ursprünglichen Titel „Banned Art“ als Gegenposition zur NSPropagandaausstellung „Entartete Kunst“ – in der auch Max Beckmann vertreten war – geplant worden. Lackners Welttheater-Text prägte mit der Charakterisierung Beckmanns als malender „Theaterdirektor, Regisseur und Kulissenschieber“ eine entscheidende Lesart vom Schaffen des Künstlers. Der Begriff des Welttheaters wurde daraufhin immer wieder mit Beckmann in Zusammenhang gebracht.
„Max Beckmann. Welttheater“ ist jedoch die erste Ausstellung, die sich diesem Thema ausführlich widmet und dabei den kulturgeschichtlichen Fragen ebenso wie den rezeptionsästhetischen und biographischen Aspekten nachgeht.
Ein Paradebeispiel für Beckmanns Idee vom Welttheater und damit ein Hauptwerk der Ausstellung ist das Gemälde „Apachentanz“ (1938) aus der Sammlung der Kunsthalle Bremen. Mit dem französischen Begriff „Apaches“ wurden zu Anfang des 20. Jahrhunderts zwielichtige Jugendgangs, Zuhälter und Kriminelle in Paris beschrieben. Diese Außenseiterkultur wurde in Form einer anspruchsvollen Varieté-Tanznummer in den etablierten Bars und Nachtklubs wie dem Pariser Moulin Rouge präsentiert. Der Tanz zeigt einen leidenschaftlichen Kampf zwischen Prostituierter und Zuhälter.
Beckmann, der mehrfach Gelegenheit hatte, Apachentanz-Aufführungen zu sehen, zeigt in seinem Gemälde den Höhepunkt der Tanzvorstellung: den dramatischen und auch gefährlichen Moment, in dem der Tänzer seine Partnerin an den Beinen packt und hoch über seinem Kopf durch die Luft wirbelt. Dabei inszenierte der Maler in seinem Bild einen bedeutungsschweren Kontrast: Während die im Zentrum agierenden Darsteller die ganze Leidenschaft und Dramatik des Apachentanzes verkörpern, erscheint das Publikum nicht nur vornehm zurückhaltend, sondern geradezu teilnahmslos und desinteressiert. Die Blicke der Zuschauer sind größtenteils sogar von der Bühne abgewendet.
Angesichts der dramatischen Zuspitzung der Entwicklungen auf der politischen Weltbühne und der daraus resultierenden Verunsicherungen, mit denen sich Beckmann konfrontiert sah, darf gemutmaßt werden, dass er den Apachentanz im Jahr 1938 auch als Sinnbild für das aktuelle Weltgeschehen schuf. Im Bild wird seine Empfindung spürbar, die Weltbevölkerung nehme die dramatischen Entwicklungen auf politischer, sozialer und auch künstlerischer Ebene lediglich desinteressiert zur Kenntnis – keiner scheint sich unmittelbar betroffen zu fühlen.
Die Welttheater-Metapher zeigt sich in Beckmanns Kunst als Strategie, um sich der Welt und ihren schockartigen Veränderungen zu nähern, sie besser verstehen und ertragen zu können. So hielt der Künstler in einem Tagebucheintrag vom 12. September 1940 fest: „Wenn man dies alles – den ganzen Krieg, oder auch das ganze Leben nur als eine Szene im Theater der Unendlichkeit auffaßt, ist vieles leichter zu ertragen.“
Die Kunsthalle Bremen besitzt bedeutende Gemälde Max Beckmanns, eine seiner wenigen Skulpturen und annähernd das vollständige graphische Werk. Dieser herausragende Bestand der Kunsthalle Bremen wurde für die Ausstellung neu bearbeitet und tritt mit zentralen, oftmals nur selten für Ausstellungen bereitgestellten internationalen Leihgaben in einen Dialog.
VIDEO | „Max Beckmann“ Film von Angelika Lizius BR 2014, Reihe „Lido“
„Max Beckmann. Welttheater“ präsentiert insgesamt rund 120 Werke aus der Zeit von 1920 bis 1950. Darunter befinden sich zwei selten in Europa präsentierte Triptychen: „Schauspieler“ (1941/42) aus dem Fogg Museum und „Argonauten“ (1949/50) aus der National Gallery of Art. Außerdem wird das spektakuläre Werk „Familienbild“ (1920) aus dem Museum of Modern Art, selten gezeigte Arbeiten aus internationalen Privatsammlungen sowie die druckgraphischen Mappen „Jahrmarkt“ (1921) und „Berliner Reise“ (1922) ausgestellt.
Mit seinen in den 1920er Jahren entstandenen Dramen „Ebbi“ und „Das Hotel“ wird zudem Beckmanns wenig beachtete schriftstellerische Tätigkeit beleuchtet.
Die Ausstellung entsteht in Kooperation mit dem neuen Museum Barberini in Potsdam und wird dort vom 23. Februar bis 10. Juni 2018 zu sehen sein.
PRESSESCHAU
„Ich bin ein alter Clown“
Und aus der Kunsthalle wird ein Zirkus: Max Beckmanns große Ausstellung in Bremen
„Wenn die Bremer Ausstellung dennoch ihre sehr eigene Qualität hat, dann weil sie einerseits und nicht zuletzt dank der eigenen Bestände des Hauses eine kleine Retrospektive ist, andererseits aber Beckmanns theatralische Sendung bis in die bildnerische Erzählung der Grafikmappen wie Die Hölle, Stadtnacht, Der Jahrmarkt und Berliner Reise verfolgt. Und mit wenigen kleinen Skulpturen, die sonst selten oder gar nicht zu sehen sind, noch einen besonderen Akzent setzt.“
Der Maler auf der Bühne
Theater, Varieté, Zirkus – Max Beckmann liebte die Bühne und malte das ganz große Welttheater.
„Eines der zentralen Bilder der Ausstellung ist der „Apachentanz“ von 1938 aus der Sammlung der Kunsthalle. Der Begriff „Apaches“ wurde Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts für Jugendgangs, Zuhälter und Kriminelle in Paris benutzt und fand als gängiges Motiv auch Eingang in die Varieténummern etwa des „Moulin Rouge“. Das Bild zeigt eine solche Szene: Einen als dramatischen Tanz inszenierten Kampf zwischen einem Zuhälter und einer Prostituierten. Das „Welttheater“ entsteht dabei durch die Zuschauer – sie sehen allesamt weg. „Ein Sinnbild für die aktuelle politische Lage 1938“, sagt Kokuratorin Verena Borgmann.“
Im Zirkus der Angst und der Lüste
Karneval, Varieté, Artisten, Clowns: Die Bremer Kunsthalle zeigt das „Welttheater“ von Max Beckmann – auch als einen Akt der Selbstbehauptung.
„Beckmanns Kunst wird zum Welttheater, weil in ihr Überdruck herrscht: an Formen, Figuren, Mythologien, an Drama und Groteske. Das gilt für das spätexpressionistische „Familienbild“ ebenso wie für den brutalen „Apachentanz“ von 1938 und die zehn Jahre später entstandenen „Cabins“, die danteske Höllenphantasie einer Atlantiküberfahrt. Hinter jedem Bullauge lauert hier das Unaussprechliche: eine Totenwache, eine Engelserscheinung, ein Mord, ein Albtraumgesicht. Am rechten Bildrand ist wieder eine Glaskugel zu sehen. In ihr fährt der Dampfer, dessen Inneres sich in der Vision des Malers aufgefaltet hat, ruhig durch die Nacht.“
Der Film | Dokumentation über den Ausnahmekünstler Max Beckmann, Einzelgänger und Provokateur seiner Zeit.
MAX BECKMANN – DEPARTURE
Nach seinem herausragenden Künstlerporträt über Ernst Ludwig Kirchner beschäftigt sich Regisseur Michael Trabitzsch in seinem neuen Film mit einem weiteren epochemachenden Maler der Moderne: Max Beckmann.
Wie für andere Künstler seiner Generation war es die Erfahrung des Ersten Weltkriegs, die den Werdegang Max Beckmanns in neue, bis dato unbekannte Bahnen lenkte. Das Erlebnis existentieller Einsamkeit und der Verlust aller tragenden Konventionen machen ihn zu einem radikalen Wahrheitssucher. Direkt und unerbittlich »sieht« er seine Zeit und immer wieder auch sich selbst an, um einen gültigen Ausdruck, eine bleibende Form zu finden, auf der Suche nach einer modernen Form der figurativen Malerei.
So sehr Max Beckmanns Werke in ihrer Zeit, in der Erfahrung der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verwurzelt sind, so wenig haben sie bis heute an Wucht und Geheimnis verloren.
DVD | MAX BECKMANN. Departure
Ein Film der vielfachen Bewegung: An die Orte seines Wirkens, von Berlin über Frankfurt, Paris und Amsterdam bis nach New York; in eine ruhelose Zeit, dokumentiert in den vielfach erst kürzlich erschlossenen Selbstzeugnissen der Briefe und Tagebücher; besonders aber in Beckmanns Kunst selbst… Das faszinierende Porträt eines einzigartigen Künstlers.
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