Sigmar Polke — 1941 in Oels (Schlesien) geboren und 2010 in Köln gestorben — gehört zu den bedeutendsten Künstlern der Gegenwart. Die Ausstellung präsentiert Werke von 1963 bis 2010.
Das umfangreiche Schaffen Polkes wurde zuletzt vor annähernd zwanzig Jahren in einer Retrospektive vorgestellt — 1997 in der Bundeskunsthalle Bonn und dem Hamburger Bahnhof in Berlin.
Mit über zweihundertfünfzig Exponaten ist die aktuele erstmals 2014 in New York gezeigte Kunstschau eine der größten Retrospektiven, die das Museum of Modern Art je einem Künstler gewidmet hat und die bisher umfangreichste Polke-Retrospektive überhaupt.
Sigmar Polke hatte sich selbst immer allen kunsthistorischen Einordnungen zu entziehen versucht. In seiner ersten posthumen Retrospektive, die nach New York und London vom 14. März 2015 an im Museum Ludwig in Köln gezeigt wird, werden daher zum ersten Mal alle künstlerischen Medien berücksichtigt, mit denen Polke Zeit seines Lebens intensiv arbeitete.
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MoMA, New York | 2014 [ Exponate in der Übersicht ansehen ]
Tate Modern, London | 9. Oktober 2014 bis 8. Februar 2015
Museum Ludwig, Köln | 14. März 2015 bis 5. Juli 2015
In rund 250 Werken werden nicht nur seine Malerei und Zeichnungen, mit denen Polke bekannt wurde, ausgestellt, sondern auch Grafik, Skizzenbücher, Objekte, Skulpturen, Fotografien, Filme, Diainstallation und Fotokopierarbeiten. Viele Werke wurden noch nie in Deutschland gezeigt.
Auf diese Weise wird deutlich, wie Polke die Medien miteinander verknüpfte und sich gegenseitig durchdringen ließ: In seinen Gemälden setzte er fotografische Substanzen ein; Raster aus Druckverfahren verwandelte er in Gemälde, Fotografien wurden durch den manipulierten Entwicklungsprozesse zu Unikaten; seine filmischen Erkundungen inspirierten sein Gesamtwerk. Der Titel der Ausstellung spielt auf diesen neuen Künstlertypus an, der sich allen Erwartungen widersetzt und entzieht.
Zugleich lenkt der Titel den Blick auf den gesellschaftshistorischen Kontext seiner Arbeiten. Denn wie kein anderer Künstler beobachtete Polke das Zeitgeschehen der alten Bundesrepublik und reflektierte ihre verdrängte Geschichte des Nationalsozialismus.
„Alibis, das sind die Ausreden der Deutschen, die den falschen Autoritäten gefolgt sind. Alibi ist aber auch das lateinische Anderswo, der Ort, an dem sich der flüchtige Sigmar Polke aufhält…
Die Schuld der Elterngeneration, das deutsche Erbe, das nach dem Krieg von Ideologie zerrissene Land — Polke arbeitete auf einer Grundierung aus Nazidiktatur und Wirtschaftswunder-BRD. Sein unbedingter Wille zur Kritik erschließt sich nur im historischen Kontext.“
[ RABEA WEIHSER für ZEITonline ]
Die Dinge sind nicht, wie sie scheinen: Das war für den Kurator Mark Godfrey ( Tate ) der Antrieb für das Motto. „Viele Deutschen zogen Alibis heran, dass sie nicht an den Taten der Nazis beteiligt waren. Polke versucht, die Alibis zu erschüttern, indem er immer wieder Hakenkreuze in seinen Bildern auftauchen ließ und hinterfragte, ob die Leute wirklich unschuldig waren.“
Greifen seine Gemälde der 1960er Jahre die Konsum- und Warenwelt des bundesdeutschen Wirtschaftsaufschwungs ironisch auf, so lassen sich in seinen von Massenkultur aufgesogenen, und in unterschiedlichsten Medien umgesetzten, kollaborativen Arbeiten der 1970er Jahre viele Anspielungen auf die neuen sozialen Bewegungen und ihre Subkulturen finden.
In seinen großformatigen abstrakten Gemälden sind es seit den 1980er Jahren die neuen Materialien, wie photochemische, wärme- und feuchtigkeitsempflindliche, aber auch giftige Substanzen, die eine verunsichernde und ambivalente Wirkung auf den Betrachter haben. „Die Dinge sehen, wie sie sind,“ lautet ein Titel seiner Werke. Bezeichnenderweise erscheint der Titel im Bild spiegelverkehrt.
Eindeutigkeit des Sichtbaren umzukehren und in Frage zu stellen, trieb Sigmar Polke zu immer neuen künstlerischen Erprobungen von Materialien und Techniken. Die ausgestellten Werke werden am Ort ihres Entstehens — denn Köln war mehr als 30 Jahre Sigmar Polkes Lebensmittelpunkt — eine besondere Brisanz entfalten.
Ab Mitte der 1960er Jahre bis zu seinem Tod war die Filmkamera integraler Bestandteil seiner künstlerischen Praxis. Nur in vereinzelten und ausgewählten Präsentationen machte er seine Filme öffentlich. Im Rahmen einer Tagung, die das Museum Ludwig gemeinsam mit der Universität Köln vom 12. bis 14. Juni 2015 ausrichtet, werden Polkes Filme im Kontext der lebendigen Filmszene des Rheinlandes in den 1960er und 70er Jahren untersucht.
Ein weiterer Bezug wird durch die Sammlung des Museum Ludwig hergestellt. Denn das Museum Ludwig wurde immer wieder mit großzügigen Schenkungen von Polke-Werken bedacht. Bereits 1974 gelangte das frühe Rasterbild Kopf von 1966 über eine Jubiläumsspende in die Sammlung. Außerdem befinden sich eine unbetitelte Arbeit von 1986, Ruine von 1994 und aus dem gleichen Jahr das Transparentbild Fensterfront in der Sammlung des Museums. 2009 erhielt das Museum Ludwig die nahezu vollständig zusammengetragene Sammlung der Editionen von Sigmar Polke. Diese Schenkungen werden in die Präsentation im Museum Ludwig einbezogen.
VIDEO | TateShots: Sigmar Polke
Tate Curator Mark Godfrey explains why he thinks Polke is ‚one of the most exciting and experimental artists of the last 50 years.‘
Polke in Context: A Chronology
Kathrin Rottmann für MoMA | SPECIAL lesen
“You can’t exist in a vacuum, you are rooted in time.” This is how Sigmar Polke described his working method in 2003. It is frequently noted that Polke was highly contemporary in his work, as one critic wrote, “Polke’s early works concern the Federal Republic of Germany [FRG] exclusively. He mapped the cultural landscape as it must have seemed to the stunned observer in this part of the world.” This notion of contemporaneity is based on the idea that artistic activity can hardly be thought of as anything but a “debate with existing reality.”
Sigmar Polke - Original und Fälschung - Bonn, 1974
Ausstellungsplakat | Ausschnitt
[ Abhängen - Gras rauchen ]
„Sigmar Polke hat sich stets aller Eindeutigkeit verweigert. Die Dinge sehen wie sie sind — das ist nach seiner Auffassung unmöglich, weil es keine verlässliche Objektivität gibt. Polke hinterfragt und reflektiert alles, er sieht die Dinge anders, als sie erscheinen, und gibt seine Sicht auf ihr Wesentliches frei. Keineswegs um zu belehren, nur um zu verstören. Um gängige Perspektiven zu durchkreuzen.
Polkes Antrieb war sein Misstrauen gegenüber allen Institutionen, es war seine persönliche Konsequenz aus der deutschen Geschichte. Er stellte Wissenschaft, Religion, Politik und die Kunst selbst infrage — all das, was den Menschen ein wohlig-taubes Gefühl der Sicherheit vermitteln könnte.“
Wir Kleinbürger!
Sigmar Polkes Werkgruppe Wir Kleinbürger! Zeitgenossen und Zeitgenossinnen von 1974-1976 war lange Zeit beinahe vergessen.
Das zehnteilige Ensemble besteht aus großformatigen Papierarbeiten, im Buch reproduziert auf zehn ausklappbaren farbigen Tafeln. Hier durchdringt und überlagert sich eine Vielfalt von Figuren, Spuren, Zeichen und Zitaten, unter anderem aus der damaligen Populärkultur.
KATALOG | Sigmar Polke. Wir Kleinbürger! Zeitgenossen und Zeitgenossinnen. Die 1970er Jahre
Gebundene Ausgabe 472 Seiten 300 meist farb., teils ganzseit. Abb. davon 10 Falttafeln Chronologie Sprache: Deutsch 27,2 x 22,4 x 4,4 cm
Ausgehend von dieser Bilderserie gewährt das Buch erstmals Einblick in die gesamte, bislang von der Kunstgeschichte vernachlässigte Produktion Polkes in den 1970er Jahren. Zeichnung und Malerei sowie Film und Fotografie führen in Verbindung mit dokumentarischen Materialien und Bildvorlagen die mediale Bandbreite des damaligen Schaffens vor Augen. Das Buch bietet ein Panorama der von Hippietum, Proto-Punk, Frauenbewegung und Terrorismus geprägten BRD, es zeigt einen völlig neuen Sigmar Polke: Zu entdecken ist ein Polke im Plural.
Einführende Beiträge stellen die einzelnen Blätter der Kleinbürger in den Kontext ihrer Entstehung. Texte von Beatrice von Bismarck, Bice Curiger, Diedrich Diederichsen,Walter Grasskamp, Wolfgang Kemp oder Viktoria Schmidt-Linsenhoff setzen sich mit dem Kontext von Künstlergemeinschaften, psychedelischer Kultur, Fotografie oder den Erzählstrukturen der Bilderserie auseinander, gefolgt von Schriften Sigmar Polkes und Texten von Kritikern und Schriftstellern aus den 1970er Jahren, etwa Hans Magnus Enzensbergers Essay Von der Unaufhaltsamkeit des Kleinbürgertums, dem die Werkgruppe ihren Titel verdankt.
Museum Ludwig
SIGMAR POLKE – Alibis – Retrospektive
bis 05. Juli 2015
Öffnungszeiten Dienstag bis Sonntag (inkl. Feiertage): 10 — 18 Uhr jeden ersten Donnerstag im Monat: 10 — 22 Uhr montags geschlossen
Eintritt: 14,- Am ersten Donnerstag im Monat gilt ab 17 Uhr ein reduzierter Eintrittspreis für die Sammlung und alle Sonderausstellungen von 7,-.
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